Auch Nicht-Entscheide fordern Verantwortung ein
Auszug aus dem Essay «Quand même» von Dr. Hans Vontobel
Änderungen können unangenehm sein. Wer sich ihnen trotzdem stellt, beweist nicht nur Mut. Sondern er gibt sich erst die Chance, mit einer Entscheidung das Glück zu finden.
Dr. Hans Vontobel amtierte bis 2016 (✝) als Ehrenpräsident des Verwaltungsrats von Vontobel. © Foto: Ursula Markus
Wer es allen Leuten recht machen will, der übt sich in einer Kunst, die bekanntlich niemand kann. Man muss sich entscheiden. Die Frage ist, nach welchen Kriterien. Und wer diese Entscheidungskriterien aus welchen Gründen definiert. Denn selbst für Entscheide, die dem Zufall überlassen werden oder für Nicht-Entscheide sind letztlich Menschen verantwortlich.
Entscheiden kann man lernen – Glück muss man haben
Die Fähigkeit, die richtigen Weichen zu stellen, sich an den Erfolgen zu freuen und aus den Misserfolgen zu lernen: Das ist eine Kunst. Diese kann man sich bis zu einem gewissen Grad aneignen. Vollendet wird diese Kunst aber erst durch Glück. Es braucht Glück, damit sich Entscheide im Nachhinein als richtig erweisen und dazu beitragen, ein langes Leben erfolgreich zu meistern. Ich hatte das Glück, selbst jene Situationen insgesamt schadlos zu überstehen, in denen mir das Glück zunächst nicht hold schien. Es gab immer eine Lösung, die sich als praktikabel erwies. Und in einigen Fällen schliesslich besser war als die Niederlage oder Enttäuschung, die ich im ersten Moment befürchtete.
«Quand même» – jetzt erst recht
«Quand même» sagt ich mir beispielsweise, als uns die Gross- und Kantonalbanken Ende der 1950er-Jahre den Zugang zum Emissionsgeschäft mit Obligationen verwehren wollten. Jetzt erst recht: Wir gründeten zusammen mit anderen Instituten die Gruppe Zürcher Privatbankiers und fassten so im Emissionsgeschäft erfolgreich Fuss. So wurde mein Credo – oder genauer: meine Lebenseinstellung – oft zu einem Erfolgsrezept. Meiner Geheimwaffe.
«Quand même» – auch wenn es weh tut
Änderungen können unangenehm sein. Die Trennung von Liebgewonnenem ist vielleicht schmerzhaft. Aber wer auf Anpassungen verzichtet, wer es verpasst, neue Ideen anzustossen, wer nicht bereit ist, sich immer wieder neu zu erfinden: Der geht den sicheren Weg in den Niedergang. Meine angeborene Neugier hat mich motiviert, Veränderungen a priori positiv zu sehen. Es geht eine ungeheure Faszination von der Neugier aus, mehr und anderes zu wissen. Und die Bereitschaft und die Fähigkeit zu Veränderungen sind denn auch zum Wesensmerkmal unserer Bank geworden.
Geld ist Mittel zum guten Zweck
Meine Einstellung zum Geld ist offen und unverkrampft. Wahrhaft bereichernd ist es vor allem dann, wenn man Geld so ausgibt, dass es anderen einen Nutzen verschafft oder eine Freude bereitet. Darum möchte ich an dieser Stelle zwei Stiftungen unserer Familie erwähnen, über die wir Geld als Mittel zum guten Zweck einsetzen:
- Die Stiftung Kreatives Alter zeichnet Menschen aus, die nicht mehr im Arbeitsprozess eingegliedert sind. Menschen, die die Gesellschaft bereichern: mit kreativen Leistungen in der Literatur, der Wissenschaft, Musik und im Theater.
- Die Stiftung Lyra unterstützt junge hochbegabte Musikerinnen und Musiker in ihrer Ausbildung. Sie verfolgt das Ziel, ihre Karriere zu fördern und ihnen Auftritte an öffentlichen Konzerten zu ermöglichen.
Auf das soziale Wirken unserer Familienmitglieder in diesen und weiteren Stiftungen bin ich stolz. Mit dieser Einstellung und diesen Werten wollen wir das Unternehmen in die nächste Generation tragen. Ich bin überzeugt, dass uns dies gelingen wird.
Über Dr. Hans Vontobel
Hans Vontobel lebte und arbeitete vom 4. Dezember 1916 bis 3. Januar 2016 in Zürich. Er amtierte bis zuletzt als Ehrenpräsident des Verwaltungsrats von Vontobel, präsidierte zahlreiche Wirtschaftsverbände und Verwaltungsräte und machte sich als Mäzen und Gründer verschiedener Stiftungen einen Namen.