Chinas PR schlägt zurück

Insights, Coronavirus, Geopolitik
07.04.2020 Lesezeit: 7 Minute(n)

Während man in Wuhan wieder zur Normalität zurückfindet, verstärkt China seine Bemühungen, dem Rest der Welt unter die Arme zu greifen

Ende Januar 2020 geriet China ins Visier der Medienwelt. Die Ausbreitung des Coronavirus zwang das Land, Millionen von Menschen unter Hausarrest zu stellen. Zwei Monate später scheint China nun alles zu tun, um sich als Retter im Kampf gegen das Virus darzustellen.

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Der chinesische Staatschef Xi Jinping gibt sich nun als internationaler Vorkämpfer gegen das Coronavirus ©depositfotos

Am 23. Januar 2020 wurde die chinesische Stadt Wuhan komplett von der Aussenwelt abgeschnitten. Ebenso wie drei umliegende Städte. Zu dem Zeitpunkt war es allerdings bereits fünf Millionen Menschen gelungen, das Epizentrum zu verlassen, ohne untersucht zu werden. Am nächsten Tag sperrte die Regierung das gesamte 57-Millionen-Areal der Provinz Hubei ab. Zu spät, um die Ausbreitung von Covid-19 noch einzudämmen. Die Pandemie hat bis heute über 600.000 Menschen infiziert und über 27.000 Menschen in 199 Ländern das Leben gekostet. Hätte China drei Wochen früher gehandelt, um das Virus zu isolieren, hätte man die Zahl der Infektionen um 95 Prozent reduzieren und die weltweite Ausbreitung stoppen können. Chinas späte Reaktion, über 750 Millionen Menschen unter Quarantäne zu stellen, hat sich schliesslich als wirksam erwiesen. Am 19. März gab die Regierung bekannt, dass es keine neuen im Inland übertragenen Fälle des neuartigen Coronavirus mehr gebe (obwohl diese Zahlen umstritten sind). China hat nun allen Ausländern die Einreise verboten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus oder ihrem Visum. Das grösste Risiko für das Land geht nun von importierten Fällen aus.

Chinesische Fabriken brummen

Nachdem die chinesische Wirtschaft zwei Monate lang im Wesentlichen abgeschaltet war und von grossen Industriebetrieben bis hin zu kleinen Bubble-Tea-Läden alles geschlossen wurde, springt der Wachstumsmotor nun wieder an. Eine Schlagzeile der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua lautete: «Chinesische Fabriken brummen».
Nach dieser Schubumkehr des Schicksals hat China eine einzigartige PR-Offensive gestartet und feiert seine Erfolge, während der Rest der Welt im Chaos versinkt. Bisher habe China 89 Länder und vier internationale Organisationen bei der Bekämpfung des neuartigen Coronavirus unterstützt, berichtet die China International Development Cooperation Agency.
Als die europäischen Länder noch zögerten, auf den verzweifelten Ruf Italiens nach medizinischer Ausrüstung und Schutzausrüstung zu antworten, ging China in die Offensive. Die Regierung verpflichtete sich öffentlich, 1.000 Beatmungsgeräte, zwei Millionen Masken, 100.000 Atemschutzgeräte, 20.000 Schutzanzüge und 50.000 Testsätze zu schicken. «Wir werden uns an diejenigen erinnern, die uns in dieser schwierigen Zeit nahestanden», sagte der italienische Aussenminister Luigi Di Maio vergangene Woche. China schickte auch medizinische Teams und 250.000 Masken in den Iran, eines der am stärksten vom Virus betroffenen Länder. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić bezeichnete die europäische Solidarität als ein «Märchen» und lobte seinen «Bruder und Freund Xi Jinping», der dem Land zu Hilfe gekommen sei. «Das einzige Land, das uns helfen kann, ist China», schloss er.

Virus ohne Grenzen

Auf dem G-20-Gipfel, der in der vergangenen Woche von Saudi-Arabien einberufen und per Videokonferenz abgehalten wurde, versuchte der chinesische Präsident, die PR-Zügel in die Hand zu nehmen und Chinas Expertise bei der Bekämpfung der Infektion zu präsentieren. «Alle müssen zusammenarbeiten, um das stärkste globale Netzwerk zur Kontrolle und Behandlung aufzubauen, das die Welt je gesehen hat», sagte Xi bei dem Treffen und wies darauf hin, dass China ein «Online-Wissenschaftszentrum Covid-19» eingerichtet habe, um allen Nationen Informationen zur Bekämpfung des Virus zur Verfügung zu stellen. «Dies ist ein Virus ohne Staatsgrenzen», sagte er.
China befindet sich in der besten Position, um der Weltgemeinschaft jetzt zu helfen. Nicht zuletzt deshalb, weil es – zusätzlich zu dem Fachwissen, das es bei der Eindämmung der Krankheit bereits erworben hat – enorme Überkapazitäten zur Herstellung von medizinischer Ausrüstung geschaffen hat. Während Donald Trump in Amerika darüber nachdenkt, ob er wie in Kriegszeiten die Hersteller zum Bau von Beatmungsgeräten zwingen soll, haben chinesische Fabriken bereits Aufträge, die sie bis zum Mai rund um die Uhr auslasten. China, das schon vor der Krise der weltweit führende Hersteller von Masken war, hat seine Kapazitäten um das Zehnfache erhöht und ist nun in der Lage, die globale Nachfrage zu befriedigen - allerdings nur, wenn der politische Wille zum Export besteht.

Die Geschichte umschreiben?

Guo Dingping, Professor für Politikwissenschaft an der Fudan-Universität in Shanghai, sagt: «China drängt auf eine internationale Reaktion und bietet so viel Hilfe wie möglich an. Das Land hofft auf einen koordinierten Kampf gegen diese Pandemie auf globaler Ebene».
Viele Vertreter der internationalen Staaten befürchten jedoch, dass sich China damit in eine Position bringen will, um sich der vollen Verantwortung für den anfänglich falschen Umgang mit dem Virus zu entziehen. «Wir erleben, wie China versucht, die Vergangenheit umzuschreiben», so die australische Autorin Louisa Lim, «um die Gegenwart neu zu verfassen».
Die grösste Bestätigung für Chinas Pläne war natürlich die chaotische Reaktion auf das Virus im Westen. Die Tatsache wird am besten dadurch untermauert, dass sich sowohl Boris Johnson als auch Prinz Charles angesteckt haben, und dass die US-Wirtschaft so hart getroffen wurde, dass sie das grösste Konjunkturpaket der Geschichte auflegen musste: 2 Billionen Dollar. In Ländern wie Italien und Spanien gibt es inzwischen mehr Todesfälle als in China. Und die Schweiz leidet an der höchsten Pro-Kopf-Rate an Infektionen weltweit.

Wuhan im Westen

Was jetzt im Westen geschieht, ist eine Neuinszenierung der Tragödie, die sich in Wuhan abgespielt hat – möglicherweise noch schlimmer. So, wie die Krankenschwestern in Wuhan im Februar zusammenbrachen und um Masken und Schutzausrüstung bettelten, verlor New York gerade seine erste Krankenschwester durch den Virus in einem Krankenhaus, dem Arbeiter Müllbeutel als Schutzausrüstung geliefert hatten. Die Wirtschaft ist weltweit zum Stillstand gekommen, die Schulen sind geschlossen, und Tausende sterben an den Schauplätzen der Pandemie. So, wie die Bewohner von Wuhan an die Fenster gingen, um zu singen und die Langeweile der Quarantäne zu überwinden, so singen nun auch die Menschen in den Städten Italiens und Spaniens. Die westliche Welt hat sich nicht ausreichend auf das Coronavirus vorbereitet; auch weil ihre Staatschefs sich weigerten zu glauben, dass das, was in Wuhan geschehen war, jemals in ihren eigenen Ländern geschehen könne. All das unterstützt die chinesische Darstellung, dass man der Welt Zeit erkauft, die Welt diese jedoch verschwendet habe.

China könnte jetzt helfen

Li Wenliang, der Augenarzt, der von der Lokalregierung in Wuhan mundtot gemacht wurde, infizierte sich mit dem Coronavirus und starb am 7. Februar. Dadurch wurde er im Land zu einer Art Märtyrer. «Die innenpolitische Debatte in China spiegelt die internationale Reaktion auf den Umgang mit dem Virus vollständig wider», sagt Kevin Rudd, Präsident des Asia Society Policy Institute und ehemaliger Premierminister von Australien. «Die Menschen stehen der Fähigkeit des kommunistischen Systems, Menschen wie Li Wenliang zu schützen und seinen Rat ernst zu nehmen, äusserst kritisch gegenüber. Gleichzeitig konnte China nur so auf das Virus reagieren und es auf so dramatische Weise eindämmen».
Die Welt befindet sich also in einer heiklen Lage. Es könnte einerseits wahr sein, dass China durch seine anfänglichen Versäumnisse für die Ausbreitung von Covid-19 verantwortlich ist; und dass es nun andererseits in der privilegierten Lage ist, um anderen Nationen in ihrem Kampf gegen die Krankheit zu helfen. «Das Ziel der internationalen Diplomatie muss es sein, die Probleme zu lösen, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Was wir brauchen, sind grosse chinesische Datenmengen, die die Wirksamkeit verschiedener Behandlungen für Covid-19 belegen, sowie natürlich die Big Data, die für wirksame Impfstofftests benötigt werden», sagt Rudd.

Die Twitter-Krise

Diese Bemühungen wurden durch eine Twitter-Schlammschlacht zwischen dem chinesischen Aussenministerium und dem US-Präsidenten über den Ursprung des Virus behindert. Zhao Lijian, der Sprecher des chinesischen Aussenministeriums, twitterte über eine Verschwörungstheorie, die in China die Runde gemacht hatte. Danach soll das Virus zuerst von einem amerikanischen Soldaten verbreitet worden sein, der mit der U-Bahn in Wuhan fuhr. Der Tweet wurde in verschiedenen Versionen von anderen, mit dem Ministerium verbundenen Konten aufgenommen und von den chinesischen Staatsmedien weiterverbreitet. Diese Behauptungen erregten internationales Aufsehen und mussten einige Tage später vom chinesischen Botschafter in den USA, Cui Tiankai, persönlich zurückgenommen werden. Die Behauptung sei «verrückt», sagte er in einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtenportal Axios.
Trump, der Covid-19 immer wieder als «chinesisches Virus» bezeichnet hatte, beharrte auf dem Begriff. Es war seine Reaktion auf die grundlosen Behauptungen von Zhao. Er weigerte sich auch dann noch, als er darauf aufmerksam gemacht wurde, dass dies asiatische Amerikaner der Gefahr rassistischer Angriffe aussetzten könnte. «Es ist überhaupt nicht rassistisch, nein, überhaupt nicht. Es kommt aus China. Da möchte ich nur präzise sein», sagte Trump.
Dieses politische Ränkespiel über den Ursprung des Virus behindert die weltweite Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Krankheit erheblich. In den letzten Tagen sind die Gespräche zwischen den Nationen des UN-Sicherheitsrates über eine gemeinsame Erklärung oder Resolution zum Coronavirus ins Stocken geraten. Die Amerikaner bestehen darauf, dass ausdrücklich erklärt wird, dass das Virus in Wuhan, China, seinen Ursprung hat und wann genau es dort ausgebrochen ist. Chinas Vertreterin bei der UNO schrieb, dass sie «erstaunt war über die Entscheidung der Vereinigten Staaten, diese Gelegenheit zu nutzen, um den Ausbruch zu politisieren und China die Schuld zu geben. Das lehnen wir entschieden ab». Dieselbe Vertreterin versuchte jedoch auch, die Sprache des Kommuniqués dahingehend abzuändern, dass man die Bemühungen Chinas zur Eindämmung des Virus lobe.

Menschen helfen Menschen

Auf der menschlichen Ebene erleben wir gleichzeitig grosse Solidarität. Jack Ma, der reichste Mann Chinas und Gründer der Alibaba-Gruppe, ist massgeblich an der Hilfe für die Entwicklungsländer beteiligt. Über seine wohltätige Stiftung hat er bereits dafür gesorgt, dass jede der 54 afrikanischen Nationen 20.000 Testkits, 100.000 Masken und 1.000 Schutzanzüge für den medizinischen Gebrauch erhält. Ungeachtet der politischen Machtkämpfe, schickte er eine Million Masken und eine halbe Million Testkits in die Vereinigten Staaten.
«Jack ist wesentlich versierter in Sachen ´Sanfte Macht´ als seine Regierung. Wenn man sich seine Lebensgeschichte genau ansieht, dann besteht sie daraus, wie man mit Geschick und Einfühlsamkeit zum Ziel kommt. Dabei geht es mehr um Charme, Charisma und die richtige Aktion zur richtigen Zeit. Jack besitzt genau diese Fähigkeiten», sagt Duncan Clark, Autor des Buches Alibaba: The House that Jack Built.
Ma ist nur die prominenteste Figur Entwicklung, die sich derzeit in ganz China abspielt. In der deutschen Stadt Bedburg erhielten die Beamten der Verwaltung 50.000 Masken, die aus der Stadt Changsha geschickt wurden. Auf den Kisten stand: «Berge und Täler kommen nicht zusammen, Menschen schon». Es war die Hilfslieferung einer chinesischen Firma, die ihren europäischen Hauptsitz in Bedburg hat.



Über den Autor

Barclay Bram ist Redakteur von WiredUK

  

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