Erfolgsfaktor Identität: Die Ära nach dem Individualisierungstrend
Das Interview mit Vontobel CEO Dr. Zeno Staub
Seit September 2017 präsentiert sich Vontobel mit geschärfter Identität. CEO Zeno Staub erklärt, was Identität für ihn persönlich bedeutet und warum ein klares Unternehmensprofil unabdingbar ist.
Vontobel-CEO Dr. Zeno Staub im Interview mit Natalie Ernst (Corporate Responsibility). © Video: Vontobel 2017.
Herr Staub, was bedeutet für Sie Identität?
Zu wissen, wer man ist. Authentizität. Nur wer sich über seine eigene Identität im Klaren ist, kann Identität ausstrahlen. Identität bedeutet Haltung wahren und eine Meinung haben. Wer keine Meinung hat, dem kann man nicht zustimmen oder etwas entgegensetzen.
Was hat Ihre Identität geprägt?
Den grössten Einfluss hatten und haben sicherlich meine eigene Familie und meine Eltern, also mein direktes Umfeld. Und dann natürlich die Menschen, die mir in der Schule, an der Universität und im beruflichen sowie privaten Umfeld begegnet sind. Das sind längere Freundschaften, aber auch einzelne Begegnungen, die mich prägten und meine Identität beeinflussten. Wenn ich zurückdenke, dann ist die zeitliche Komponente weniger wichtig als die inhaltliche. Manchmal waren es einzelne Sätze, die bis heute mein Tun bestimmen.
Nennen Sie uns ein Beispiel?
Ich hatte in der Schule einen Geometrielehrer, der einen wichtigen Satz sagte: «Wenn Sie nicht wissen, was ein rechtwinkliges Dreieck ist, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Sie es erkennen, wenn Sie einem begegnen.» Dieser eine Satz beantwortet die Frage, ob es sich lohnt, theoretische Modelle zu erlernen. Oder ob man die Welt nicht besser versteht mit Empirie, Erfahrung oder dem Trial-and-Error-Prinzip. Mich hat mein Geometrielehrer vom Wert der Theorie überzeugt. Der Satz drückt noch heute gut aus, wie ich an Dinge herangehe.
Warum stellen Sie bei Vontobel das Thema Identität gerade jetzt so in den Vordergrund?
Weil wir uns ganz offensichtlich weltweit in einer Phase befinden, in der das Bedürfnis nach Orientierung und Identität wieder wächst, nachdem wir über Jahrzehnte den Trend zur Vereinzelung der Gesellschaft und teilweise gar zum Hedonismus beobachten konnten. Heute wissen wir, dass Individualisierung auch anstrengend für den Einzelnen ist und sich erschöpft. Dann sucht man die Leitplanke, an die man sich lehnen kann, oder einen Leitstrahl, der einen navigiert − etwas, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Gegenwärtig erleben wir gerade die Reaktion auf die anstrengende Individualisierung der letzten Jahrzehnte.
Woran machen Sie das fest?
In einem eigentlich denationalisierten Europa erleben wir derzeit den Brexit, mit dem die Mehrheit der aktiven Wahlbürger Grossbritanniens ihren Wunsch nach nationaler Identität geäussert hat. In den USA stimmte ein grosser Teil der Bevölkerung für «America First». Mitglieder der Trump-Administration bringen es für sich auf den Punkt, wenn sie sagen, dass es kein «common good» in einer Weltgemeinschaft gebe. Die Weltbühne ist in ihren Augen letztlich eine Plattform, auf der Nationen um Vorteile und Einfluss ringen.
Und in der Schweiz?
Die Schweiz ist eine Gemeinschaft, die weder sprachlich noch konfessionell homogen ist und doch einen Zusammenhalt gefunden hat; wir nennen das eine Willensnation. Diese basiert auf gemeinsamen Werten, zum Beispiel auf der Nichteinmischung durch andere. Innerhalb dieses Wertekorsetts haben wir eine Identität und ein letztlich funktionierendes Gemeinschaftsleben aufgebaut.
Reichen Werte oder braucht es mehr?
Gemeinschaftsleben zeichnet sich dadurch aus, dass es irgendwo stattfindet. Es braucht Räume und Plattformen, wo Menschen zusammenkommen und zusammen leben können. Aber genau diese verschwinden, wenn sich in einer Gesellschaft Vereinzelung breitmacht. Die Entwicklungen von Vereinen und Parteien zeigen das: Deren Mitglieder werden immer älter. Und das Internet ist keine wirkliche alternative Plattform für ein identitätsstiftendes Gemeinschaftsleben.
Was ist die Alternative?
Ich bin aus tiefster Überzeugung ein Anhänger des Schweizer Milizsystems, das Bürger des Landes zusammenbringt, sei es im Rahmen von freiwilligen Engagements, in der Politik oder beim Militär. Diese Gefässe fördern die Möglichkeit Gemeinschaft zu erleben und sich in ihr einzuordnen; letztlich fördern sie die Entwicklung einer offenen, liberalen Gesellschaft.
Was kann die Wirtschaft dazu beitragen?
In der heutigen international globalisierten Wettbewerbsgesellschaft verlangt ein erfolgreiches Wirtschaften von den Mitarbeitenden, dass sie faktisch den grössten Teil ihrer aktiven Zeit für das Unternehmen, im Unternehmen und mit dem Unternehmen verbringen. Wenn wir solche Anforderungen an unsere Mitarbeitenden stellen, dann haben sie auch einen Anspruch darauf, dass wir ihre Arbeit nicht einfach tayloristisch, sinnentleert als blossen Broterwerb organisieren. Vielmehr müssen wir alles daransetzen, dieser Arbeit Sinn, Kontext und identitätsstiftende Elemente zu geben. Was ist der Unternehmenszweck? Wofür stehen wir ein? Worauf müsste die Allgemeinheit und insbesondere unsere Kundschaft verzichten, wenn es Vontobel nicht gäbe? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach; das haben wir bei Vontobel im Prozess zur Schärfung unserer Marke gelernt. Aber der Auseinandersetzung mit diesen Fragen und der Erarbeitung konsistenter Antworten darf sich kein Unternehmen entziehen.
Woran bemisst sich der Erfolg einer solchen Auseinandersetzung?
Menschen in unserer sogenannten Multioptionsgesellschaft suchen ein Arbeitsumfeld, in dem sie etwas beitragen können, sich selber einbringen können. Doch sie wollen auch etwas zurückerhalten, das mehr ist als der Lohn am Ende des Monats. Wenn der Sinn und die Ziele eindeutig sind, sind die Menschen im Unternehmen erfolgreicher, finden mehr Erfüllung, sind hoffentlich auch ein bisschen zufriedener und haben schlicht und ergreifend mehr Freude – auch am gemeinsamen Erfolg. Freude ist eine sehr starke Währung.
Und was haben die Kunden und Investoren davon?
Wer mit Freude bei der Sache ist, ist auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung für jedes Kundengespräch und für die Qualität unserer Dienstleistungen und Produkte. Die Kunden wissen, was sie von uns einfordern und erwarten können. Das ist unser Handschlag – ohne Disclaimer.
Lesen Sie das ganze Interview mit Zeno Staub im «Impact 2017/18» zum Thema «Identität»
Über Dr. Zeno Staub
Dr. Zeno Staub ist seit 2011 CEO von Vontobel. Unter seiner Führung entstand der neue Marktauftritt von Vontobel, der im Herbst 2017 öffentlich lanciert wurde. Zuvor war er bei Vontobel CFO, leitete danach das Investment Banking und anschliessend das Asset Management. Zeno Staub studierte an der Universität St. Gallen Ökonomie, wo er auch promovierte.