Eurozone: Fehlen eines Fiskalpakets und Sperrmassnahmen belasten die Wirtschaftstätigkeit
Wir reduzieren unsere BIP-Prognosen und erwarten eine weitere Lockerung der Geldpolitik durch die EZB
- Die Finanzminister der Eurogruppe kämpfen gemeinsam gegen COVID-19 nach dem Grundsatz «whatever it takes and more» um die Bürger und den Euro zu schützen, das Vertrauen wiederherzustellen und eine rasche Erholung zu unterstützen. Ein koordiniertes Fiskalpaket zum Schutz der Wirtschaft der Eurozone wurde jedoch nicht abgeschlossen.
- Sperrmassnahmen in ganz Europa werden die Wirtschaftsaktivität wahrscheinlich deutlich reduzieren.
- Wir senken unsere BIP-Prognosen für die Europäische Währungsunion (EWU) erheblich und erwarten von der Europäischen Zentralbank (EZB) eine weitere Lockerung der Geldpolitik.
Die Finanzminister der Eurogruppe: «Whatever it takes and more» zur Bekämpfung von COVID-19
Am Montag, 16.03.2020 hielten die Finanzminister der Eurogruppe eine Videokonferenz ab, um auf die aussergewöhnliche menschliche und wirtschaftliche Krise zu reagieren, die durch das Coronavirus verursacht wurde. Sie kamen unmissverständlich zum Schluss, dass sie «alles Notwendige – und auch darüber hinaus – unternehmen werden», um die Bürger und den Euro zu schützen, das Vertrauen wiederherzustellen und eine rasche Erholung herbeizuführen. Sie konnten sich jedoch nicht auf ein koordiniertes Finanzpaket zum Schutz der Wirtschaft der Eurozone einigen. Stattdessen stellten sie klar, dass alle Länder den Spielraum haben, Stabilisatoren – wie Kurzarbeit und andere Arbeitslosenleistungen – zu nutzen, um die negativen Auswirkungen zu dämpfen. Ausserdem erwähnten sie, dass die meisten Regierungen bereits Unterstützungsausgaben in der Höhe von fast 1% des BIP zugesagt hatten.
Sperrmassnahmen wurden ab Montag den 16.03.2020 verschärft, was vermutlich zu einer weiteren Beeinträchtigung der Wirtschaftstätigkeit führen wird
Ab Montagabend den 16.03.2020 haben die meisten europäischen Länder Sperrmassnahmen eingeführt. Die Menschen können immer noch zur Arbeit gehen, wenn Homeoffice keine Option ist, und alle wesentlichen Güter kaufen, aber der gesamte «nicht wesentliche» Konsum wird gestoppt. Mehrere Länder haben bereits Einreiseverbote an ihren Grenzen verhängt. Ab sofort versichern jedoch alle Regierungen ihre Bereitschaft, die Grenzen für den Güterverkehr und für die meisten Grenzgänger offen zu halten. Dies wird dazu beitragen, einen grossen Teil der Wirtschaft am Leben zu erhalten. Die drastische Entwicklung zusätzlicher restriktiver Massnahmen wird jedoch die Wirtschaftstätigkeit im Allgemeinen dämpfen und den Konsum und die Exporte (Einreisetourismus) erheblich beeinträchtigen.
Wahrscheinlichkeit einer starken Beeinträchtigung der Wirtschaftstätigkeit in Q1 und Q2 im Anstieg, wir reduzieren unsere Wachstumsschätzungen
Obwohl diese Auswirkungen bei jeglicher Art von Wirtschaftsberechnung schwer zu erfassen sind, haben wir unsere Wirtschaftsprognosen unter der Annahme eines starken Rückgangs der wirtschaftlichen Aktivitäten im ersten und zweiten Quartal, einer Stabilisierung im Sommer und einer erheblichen Erholung nach dem Sommer angepasst.
Genauer gesagt erwarten wir, dass der Anteil des nicht wesentlichen privaten Konsums – der private Konsum beläuft sich auf ungefähr 55% des BIPs – in der zweiten Märzhälfte, im April und teilweise im Mai um etwa 40% reduziert wird. Im Juni rechnen wir damit, dass sich der Konsum wieder erholt. Beim Einreisetourismus gehen wir davon aus, dass praktisch alle Ausgaben für März und das 2. Quartal verloren gehen werden.
Dies führt uns zu einer starken Abwärtsrevision des Wachstums der Europäischen Währungsunion von 0.7% (Stand 4. März) auf -1.2% auf Jahresbasis (Stand 16. März). Was die vierteljährlichen Veränderungen betrifft, so ist das Bild sehr volatil, und wir müssen uns auf bis zu -5% im ersten Quartal und sogar mehr als -5% im zweiten Quartal einstellen. Dies entspricht einem grösseren Rückgang als das schwächste Quartal während der letzten Finanzkrise (Q1/2009, -3.2%). In der zweiten Jahreshälfte erwarten wir eine kräftige Erholung von diesen ausserordentlich niedrigen Niveaus, nicht zuletzt aufgrund einer substanzielle Unterstützung durch die Regierungen über Haushaltsausgaben und andere Liquiditätsmassnahmen (z.B. Kreditlinien über nationale Institutionen zur Unterstützung von Unternehmen und Haushalten). Natürlich sind diese Annahmen und auch das prognostizierte Verhalten der Pandemie, der Bürger und der Regierungen mit grosser Unsicherheit verbunden. Sollten wir zusätzliche Einschränkungen im grenzüberschreitenden Güterverkehr und für Grenzgänger sehen, müssten wir unsere Prognosen noch weiter nach unten korrigieren.
Würde die Ausbreitung des Virus hingegen schneller als erwartet nachlassen, würden die Beschränkungen früher aufgehoben und sich die Stimmung in der Wirtschaft und bei den Verbrauchern schneller erholen. In diesem Fall müssten wir unsere Wachstumsprognose nach oben korrigieren. Dasselbe gilt für eine unerwartete Verschiebung hin zu wesentlich mutigeren Staatsausgaben.
Unter diesen Umständen erwarten wir, dass die EZB in den nächsten Monaten ihre Geldpolitik noch expansiver gestalten und eine weitere Zinssenkung ankündigen wird.