Haben Sie heute schon gegessen?
«Wir alle leben von der Landwirtschaft. Darum müssen alle einen Beitrag leisten für mehr Nachhaltigkeit», sagt Frau Prof. Dr. Nina Buchmann, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Agrarwissenschaften.
Ein Interview mit Prof. Dr. Nina Buchmann, Vorsteherin des Departements Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich.
Nina Buchmann hat mit ihrer aufschlussreichen Keynote «Landwirtschaft und Nachhaltigkeit – ein Widerspruch?» am Jubiläumsanlass «30 Jahre Hans Vontobel-Preis» die Gäste begeistert. In diesem Interview spricht sie über die Herausforderungen, die der Klimawandel in der Schweiz mit sich bringt: auf pflanzlicher wie auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Prof. Dr. Nina Buchmann, Vorsteherin des Departements Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich.
Frau Buchmann, gemäss dem ETH-Klimablog könnte sich eine Klimaerwärmung von 2 bis 3 Grad bis 2050 positiv auf die Landwirtschaft auswirken. Ist also alles halb so schlimm für die Schweiz?
Nein, einen Zeitraum herauszunehmen, ist irreführend. Wenn wir uns auf diesem Pfad bewegen, können wir nicht von heute auf morgen kehrtmachen. Im ungünstigsten Szenario enden wir bis Ende des Jahrhunderts im Sommer bei zusätzlichen 7 Grad im Schweizer Mittelland. Das sind dramatische Aussichten. Kommt hinzu, dass Berechnungen bereits bis Mitte des Jahrhunderts 10 bis 15% weniger Niederschlag voraussagen bei 2 bis 3 Grad höheren Temperaturen. Dies wird den Stress auf die Pflanzen, Tiere und Böden erhöhen und damit auch den Druck auf die Landwirtschaft. Bern, we have a problem!
Die Landwirtschaft ist verantwortlich für 13% des gesamten CO₂-Ausstosses der Schweiz. Wie lässt sich der CO₂-Ausstoss einfach reduzieren?
Für dieses komplexe Problem gibt es keine einfache Lösung. Wir müssen an verschiedenen Schrauben drehen. Die Grundlage dafür bildet das Denken in Systemen. Für den CO₂-Ausstoss gibt es verschiedene Möglichkeiten, viele sind an ein nachhaltiges Wirtschaften gekoppelt. Nur die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft anzustreben, zum Beispiel bei der Bewirtschaftung, ist aber zu kurz gedacht. Erst in Verbindung mit der gesellschaftlichen und ökonomischen Nachhaltigkeit werden wir dem Ziel einer nachhaltigen Lebensweise mit weniger CO₂-Ausstoss näher kommen. Dabei müssen alle ihren Teil beitragen: die Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind, diejenigen in der Politik und diejenigen, welche die Lebensmittel kaufen.
Systemgedanke hin oder her. Einzelne Probleme könnte man trotzdem angehen. Weniger Pestizide versprühen wäre doch nachhaltiger, nicht?
Ja, weniger Pestizide würden sich zum Beispiel positiv auf die Biodiversität auswirken. Aber wäre es richtig, Pestizide ab sofort völlig zu streichen? Das würde Ernteausfälle bedeuten. In diesem Fall würden wohl die Lebensmittelpreise steigen oder die Importe zunehmen. Sie sehen, Einzelmassnahmen wirken nicht isoliert. Bei einer stufenweisen Reduktion hätte die Landwirtschaft Zeit, sich darauf einzustellen und Alternativen umzusetzen.
Weshalb wird die Debatte um die Landwirtschaft so hitzig geführt?
Einige verteufeln die Landwirtschaft ganz generell. Da bin ich manchmal versucht, zu fragen: Habt ihr heute denn schon etwas gegessen? Andere haben ein naives Bild der gegenwärtigen Landwirtschaft. Da wundert man sich manchmal, dass die Bilderbuchidylle so lange überleben konnte. Und all jene, welche die Augen vor dem Klimawandel verschliessen, möchte ich fragen: Was macht ihr, wenn Extremereignisse wie Hitzewellen und Dürreperioden häufiger auftreten? Die Diskussion wird zu oft ideologisch statt faktisch und – um nochmals den Systemgedanken einzubringen – nicht ganzheitlich geführt.
Welche dringenden Fragen beschäftigen Sie in Ihrem Forschungsfeld?
Ein ganzer Blumenstrauss an Fragen. Ich picke ein zentrales Problem heraus: Wie lassen sich Wiesen, Äcker und Wälder nachhaltiger bewirtschaften und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähig machen? Dabei untersuchen wir zum Beispiel, unter welchen Bedingungen ein Acker Kohlenstoff bindet oder verliert. Die Treibhausgas-Bilanzen sind für verschiedene Ackerfrüchte sehr verschieden und hängen auch von der Intensität der Bewirtschaftung ab.
Messstation in Oensingen
Wie bewirtschaftet man nachhaltiger?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Organische Dünger helfen bei der Kohlenstoffbilanz eines Ackers, Biodiversität wirkt sich im Grasland positiv aus, zum Beispiel auf die Menge, Qualität und Stabilität des Ertrags.
Das World Food System Center an der ETH Zürich sucht weltweit Lösungen für eine nachhaltige und gesunde Ernährung. Wo setzen Sie an?
Wir setzen an verschiedenen Stellen an: in der Forschung, der Bildung und der Öffentlichkeitsarbeit. Die Forschungsprojekte sind immer interdisziplinär aufgestellt und auf der ganzen Welt verstreut. Tef-Bauern in Afrika profitieren von neuen Erkenntnissen über den Anbau genauso wie Schweizer Detailhändler, wenn es um Verpackungen geht. Ausserdem bringen wir Forschende und Unternehmen aus der ganzen Welt zusammen, um die Nachhaltigkeit entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette im gesamten Ernährungssystem zu erhöhen. Eine langfristige Finanzierung des World Food System Center ist allerdings noch nicht sichergestellt.
Wie ernährt sich ein Mensch, der nachhaltig und gesund essen möchte?
Vielseitig, regional und vor allem saisonal. Im Gewächshaus produzierte Gurken, die im Dezember angeboten werden, weisen eine schlechtere Umweltbilanz aus als Gurken, die im Sommer aus dem Garten kommen. Weniger Fleisch essen tut der Umwelt und dem Körper ebenfalls gut.
Welche Lebensmittel können wir angesichts des Klimawandels künftig noch in der Schweiz anbauen?
Fast alles. Wir werden vielleicht andere Sorten anbauen und wohl mehr bewässern müssen. Potenzial sehe ich beim sogenannten «Genome Editing». Dadurch könnte man den normalen Züchtungsprozess beschleunigen und die Stressresilienz der Pflanzen zu erhöhen. Aber da ist noch viel Forschung nötig.
Sie scheinen trotz der Herkulesaufgaben frohen Mutes zu sein. Was treibt Sie an?
Der Beruf bereitet mir immer noch wahnsinnig viel Spass. Ausserdem erfüllt es mich, Wissen an die nächste Generation weiterzugeben und meinen Teil dazu beizutragen, dass die Welt nachhaltiger wird.
Über Nina Buchmann
Nina Buchmann wurde 1965 in Heidelberg geboren, ist verheiratet und hat eine Tochter. Seit 2003 ist sie Professorin für Graslandwissenschaften am ETH-Institut für Agrarwissenschaften, seit 2017 Vorsteherin des ETH-Departements für Umweltsystemwissenschaften. Sie zählt zu den meistzitierten Wissenschaftsautorinnen und -autoren auf ihrem Gebiet.
Über den Hans Vontobel-Preis
Der Hans Vontobel-Preis zeichnet Forschungsarbeiten aus, die auf dem Gebiet der Agrarwissenschaften zu herausragenden Erkenntnissen führen. Der Preis gibt entscheidende Impulse und verbessert die Chance, dass die Agrarwirtschaft mit dem Nahrungsbedarf einer wachsenden Weltbevölkerung Schritt halten kann.