Me, Myself and I

Insights, Technologie
19.02.2020 Lesezeit: 4 Minute(n)

Ich – das ist in Zeiten von Social Media und teils wirklichkeitsfremder Selbstdarstellung auch eine Marke. Führt diese Entwicklung zur Disruption der individuellen Eigenschaften?

Me, Myself and I

Im Durchschnitt verbringen die Menschen täglich fast sieben Stunden im Internet, die Hälfte dieser Zeit auf dem Smartphone. «Always on», ständig online, gehört für viele zum Alltag. Dass sich dies auf das Individuum auswirkt, scheint logisch. Auch dass Social Media einen Einfluss auf den Einzelnen haben kann. Schliesslich hat fast jeder heute ein Profil auf einer oder mehreren Plattformen. Als digitales Ich verbindet ein solches Profil einen mit der Familie, Freunden, Bekannten – potenziell mit jedem.

Das kann mit Nebeneffekten verbunden sein, erscheint in der Online-Welt doch immer alles und jeder makellos. Allen voran jene, die mit ihrem Aussehen und der Darstellung ihres Lifestyles ihren Lebensunterhalt verdienen. Aufgrund ihrer Community mit Tausenden von Followern sind sie Vorbilder, vor allem für die jüngere Generation. Im Wunsch ihren Vorbildern nachzueifern, lernen die Jungen schnell, dass es dank Apps leicht ist, sich geschönt der Welt zu präsentieren.

Fünf Wesenszüge, ein Charakter

Doch was macht das ständige Vergleichen mit unzähligen Anderen und die Beschönigung des eigenen Lebens mit uns? Verändern wir trotz des Wissens um die Künstlichkeit von Social Media die individuelle Einzigartigkeit unseres Wesens, um der Masse zu gefallen?

In der Persönlichkeitsforschung spricht man von fünf Kerndimensionen, die die Eigenschaften eines Menschen definieren. Mathematisch betrachtet können diese in 3’125 Varianten vorkommen, was bei rund 7.7 Milliarden Menschen weltweit nicht als viel erscheint. Wie aber entwickeln wir unsere individuelle Kombination?

Die eigene Persönlichkeit hängt zu einem grossen Teil davon ab, welche Gene uns in die Wiege gelegt wurden. Ebenso prägend sind unser soziales Umfeld, unsere Erziehung und unsere individuelle Lerngeschichte. Dazu zählen auch die Vorbilder, die wir uns in der Off- und Online-Welt nehmen. Lediglich zirka 20 Prozent unseres Charakters können wir frei bestimmen.

Kann ich sein, wie ich will?

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass in der Gesamtheit unserer Charakterzüge, unserer Verhaltensweisen, Denkmuster, Einstellungen und Überzeugungen jeder einzigartig ist. Es gibt aber ein angleichendes Element: Wir wollen von anderen gemocht und geachtet werden.

In Zeiten von Social Media verschieben sich diesbezüglich die Massstäbe. Waren es früher nur Familie, Freundeskreis, Kollegen und Bekannte, kann uns heute zusätzlich die ganze Welt beobachten und bewerten. Ebenso vergleichen wir uns mit Menschen rund um den Globus. Der Druck, perfekt auszusehen und ein aufregendes Leben zu führen, ist durch Social Media gestiegen. Das beeinflusst natürlich. Doch während Hobbys, Kleidung und Aussehen sich kurzfristig verändern lassen, sieht es mit dem Charakter anders aus. Man wird aufgrund der Jagd nach Klicks nicht automatisch zu einem anderen Menschen. So zu sein wie man will, ist ein lebenslanger Lernprozess.

 

Interview mit Prof. Dr. Willibald Ruch

Digitale Selbstvermarktung, Einzigartigkeit und Beeinflussbarkeit – Was bedeutet dies für die Charaktereigenschaftes eines Menschen? Wird aus dem individuellen Ich eine breit akzeptierte «Marke»?

Herr Professor Ruch, wie einzigartig sind wir als Individuum?

Das kommt ganz darauf an, wie man es betrachtet. Auf der ganzen Welt gibt es keine andere Person, die im gleichen Alter ist, gleich aussieht und die gleiche Persönlichkeit aufweist wie ich. So gesehen sind wir alle einzigartig. Mit Blick auf unsere Persönlichkeitsmerkmale jedoch, ähneln wir uns.

Ist die Aussage «So bin ich eben» haltbar?

Einerseits denke ich, sollte man die Einzigartigkeit aller Menschen akzeptieren und deren Vielfalt wertschätzen. Andererseits zeigen Studien, dass es durchaus möglich ist, sich willentlich zu verändern. Ich führte beispielsweise eine Studie durch, welche die Frage beantworten sollte, ob eine Charaktereigenschaft wie Humor erlern- und trainierbar sei. Die Resultate sprachen für sich: Ja, durchaus. Innerhalb unserer Studie wurde zwar niemand vom Griesgram zum Entertainer, aber es waren doch statistisch signifikante Veränderungen sichtbar.

Können wir uns also entgegen unserer Sozialisation entwickeln?

Ja, wir können auf jeden Fall anders werden, als unsere Erziehungspersonen das vorgesehen haben. Das zeigt sich am Beispiel von Adoptionen. Studien haben die Persönlichkeitsmerkmale von Kindern, die adoptiert wurden, mit jenen ihrer Adoptivfamilie und ihrer biologischen Familie verglichen. Gezeigt hat sich, dass der Einfluss der Gene zumindest in jungen Jahren eine stärkere Ausprägung hat, denn die Ähnlichkeit zur biologischen Familie war wesentlich grösser.

Wie wirken sich Schicksalsschläge aus?

Sie wirken sich auf jeden Fall aus. Viel interessanter ist jedoch die Frage, wie langfristig. Schockmomente ziehen oft eine depressive Verstimmung nach sich. Ein bis zwei Jahre später finden Menschen jedoch meist zu ihrer Persönlichkeit und dem Stand ihrer vorherigen Zufriedenheit zurück.

Besteht ein Zusammenhang zwischen Charakter und Aussehen?

Früher dachte man unter anderem, dass das eigene Glücksgefühl in Korrelation zur körperlichen Attraktivität steht, dem ist jedoch erwiesenermassen nicht so. Attraktiven Personen wird zwar eher geholfen, aber auf ihr Glücksempfinden scheint dies keinen direkten Einfluss zu haben.

Machen uns Social Media zu Marken?

Ein gewisses Selbstdarstellungsbedürfnis gab es schon immer, aber es hat sich anders geäussert. Auf der einen Seite erleichtern die Sozialen Medien die Selbstdarstellung, die eigene Markenbildung. Auf der anderen Seite kurbelt Social Media den Wettbewerb nach Zuneigung an. Mit einem Klick auf das Smartphone hat man unzählige Modelle, denen man nacheifern und mit denen man in Wettbewerb treten kann. So sehe ich etwa, was meine Nachbarn und Bekannten machen und sich leisten, was wiederum auch in mir den Wunsch nach einem gewissen Verhalten wecken oder verstärken kann.

Das vorliegende Interview ist eine gekürzte Version. Das gesamte Gespräch können Sie im Wealth Management Magazin «Inspiration» lesen.

Biografie Prof. Dr. Willibald Ruch

Prof. Dr. Willibald Ruch ist seit 2002 Fachrichtungsleiter am Psychologischen Institut der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Themen Persönlichkeit und Charakter, Humor, Charakterstärken in Freizeit, Schule und Arbeitsplatz sowie der Konstruktion diagnostischer Methoden.

 

 

  

 

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