Museen im Wandel: analoge Geschichte in digitaler Zukunft

Insights, Technologie
18.10.2018 Lesezeit: 3 Minute(n)

Das Interview mit Dr. Andreas Spillmann, Direktor des Schweizerischen Nationalmuseums

Die digitale Gesellschaft hat ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrer Geschichte entwickelt: Einerseits sind historische Fakten überall und jederzeit verfügbar. Andererseits kann alles und nichts zum Fakt werden – vorausgesetzt, dass es «ergoogelt» werden kann. In diesem pausenlos Balanceakt zwischen offline und online, zwischen echt und fake, kommt dem Museum wieder eine neue Bedeutung zu.

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Andreas Spillmann, Direktor des Schweizerischen Nationalmuseums seit seiner Gründung 2011. © Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Das Landesmuseum Zürich ist das am meisten besuchte kulturhistorische Museum der Schweiz. Seit 2011 tritt es unter dem Dach des Schweizerischen Nationalmuseums auf und hat in dieser Stellung einen klaren, gesetzlich definierten Auftrag: die Darstellung der Geschichte der Schweiz, die Auseinandersetzung mit der Identität der Schweiz sowie die Beratung und fachliche Unterstützung anderer Schweizer Museen und Sammlungen. Es ist damit ein Ort, wo Geschichte nicht einfach gesammelt wird, sondern gesellschaftliche Bedeutung erhält.

Doch wie schafft ein Museum heute den Sprung von der stillen Sammlung zur lebendigen Ausstellung? Heute, wo man Geschichte gewöhnlich auf dem Handy erlebt, statt sie in ehrwürdigen Gemäuern zu besuchen? Im Vontobel Interview gewährt Andreas Spillmann einen Blick hinter die Kulissen und verrät, welche Rolle die Digitalisierung für das Landesmuseum spielt. Was braucht es, damit ein Museum trotz – oder besser: dank – der digitalen Technik zum Publikumsmagneten wird?

Herr Spillmann, braucht es in der Zeit von Google, Wikipedia und Co. überhaupt noch Museen?
Unbedingt! Museen sind Orte, in denen die Vergangenheit sichtbar gemacht wird. Sie sind aber auch Kompetenzzentren, in denen entschieden wird, welche Exponate und Preziosen für kommende Generationen gesammelt werden sollen.

Was haben Sie persönlich für einen Bezug zur Geschichte?
Die Vergangenheit bestimmt weitgehend unsere heutige Welt. Ausserdem beflügelt sie meine Fantasie.

Stichwort Fantasie: Befürchten Sie, dass die Fantasie von Museumsbesucherinnen und -besucher in Zukunft mit Smartphone und VR Brille angeregt werden muss, damit sie noch Museum besuchen?
Ich glaube eben nicht. Wenn Sie ein 500-jähriges Schwert betrachten und wissen, dass damit eine entscheidende Schlacht gewonnen oder verloren wurde, dann hat dieses Objekt eine ganz besondere und eigene Aura. Wäre dies nicht so, würde der gesamte Kultur- und Kunstmarkt nicht mehr funktionieren.

Sie planen gerade die neue Ausstellung für Schweizer Geschichte: Wie bereiten Sie sich auf eine durch und durch digitalisierte Generation vor und wie können Sie davon profitieren?
Museen können sich der Digitalisierung der Gesellschaft nicht verschliessen. Da unterscheiden wir uns kaum von anderen Organisationen. In unseren Ausstellungen spielen Objekte die Hauptrolle. Sie werden jedoch mit digitalen Inhalten ergänzt. Die digitale Welt ermöglicht es Museen, mehr zu zeigen und auf wenig Platz Zusatzinformationen zu vermitteln und das in verschiedenen Formaten wie Audio, Video, Bild, Animation und Text.

Lassen Sie sich dafür auch von anderen Museen inspirieren?
Wir orientieren uns nicht an einzelnen Museen, aber an Trends. Die Häuser im angelsächsischen Raum sind bezüglich Digitalisierung führend, deshalb blicken wir gerne mal nach Grossbritannien und in die USA.

Wie stellen Sie sicher, dass das Schweizerische Nationalmuseum am Puls der Zeit bleibt?
Wir investieren einerseits in die Ausstellungen, die wir mit interaktiven Geräten ausrüsten, andererseits setzen wir in der Kommunikation stark auf die Verbreitung der Inhalte via Social Media. Ausserdem stellen wir unsere Sammlungsbestände online und machen sie so jederzeit und ortsunabhängig erlebbar. Momentan befinden sich über 60‘000 Bilder von 40‘000 Objekten in der Sammlung online. Pro Monat kommen rund 1000 neue Bilder dazu.

Woher nehmen Sie die nötigen Impulse und Inspiration dafür?
In der Geschäftsleitung des Schweizerischen Nationalmuseums ist die Digitalisierung ein ständiges Thema. Impulse kommen aber auch von den Angestellten, die vielleicht irgendwo etwas gesehen oder gehört haben und das für unser Museum in Erwägung ziehen. Es ist ein fliessender Prozess, der nicht vor Hierarchiestufen Halt macht.

Museum erleben einen regelrechten Boom – wie kommt das? Was macht die Faszination für Vergangenes in der modernen, digitalisierten Welt aus?
Vielleicht ist es gerade die Pause von der digitalen und die Auseinandersetzung mit der realen Welt, welche die Faszination von Museen ausmacht. Das Schwert, um auf dieses Beispiel zurückzukommen, lag vor 500 Jahren in der Hand eines tapferen Ritters, der damit seine Gemeinschaft verteidigt hat. Das beflügelt die Fantasie der Besucherinnen und Besucher und gibt ihnen die Möglichkeit, ihr eigenes «Kopfkino» in Betrieb zu setzen. Museen bieten Geschichten an, denen keine Grenzen gesetzt sind.

Wo liegen die Herausforderungen bei der Digitalisierung in Ihrer Branche?
Meiner Meinung nach liegt die grösste Herausforderung im Umdenken der Menschen. Eine neue Technik zu erlernen und anzuwenden, ist immer und fast in jedem Alter möglich. Wenn man jedoch etwas 30 Jahre lang auf erfolgreiche Art gemacht hat, braucht es viel Überzeugungsarbeit, einen neuen Weg einzuschlagen.

Über Andreas Spillmann

Andreas Spillmann ist seit 2006 Direktor des Schweizerischen Landesmuseums, 2011 übernahm er die Leitung des neu gegründeten Schweizerischen Nationalmuseums, zu dem neben dem Landesmuseum die Museen Château de Prangins und das Forum Schweizer Geschichte Schwyz sowie das Sammlungszentrum in Affoltern am Albis gehören. Zuvor machte sich der promovierte Ökonom einen Namen als Kulturchef der Stadt Basel und als kaufmännischer Direktor des Schauspielhauses Zürich.

  

Vontobel ist Partner des Landesmuseums Zürich und engagiert sich für Projekte wie zum Beispiel das «Geschichtslabor» für Jugendliche.
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Wer sind wir? Wie leben wir heute? Und wie wird die Digitalisierung unser Leben verändern? Die Frage nach der Zukunft bewegt die Gesellschaft mehr denn je. Antworten suchen Ingenieure, Mediziner, Politiker und jeder einzelne von uns. Das Interview mit Dr. Andreas Spillmann ist einer von zahlreichen Beiträgen, die das Thema «Digitalisierte Gesellschaft» aus einem neuen, inspirierenden Blickwinkel beleuchten. Wir publizieren sie hier als Teil unserer Serie «Impact».

 

  

 

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