Investmenttrends zwischen Staatsschulden und Inflationsszenarien

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02.03.2022 von Peter Romanzina, Daniel Signer Lesezeit: 5 Minute(n)
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Die Augen der Weltpolitik sind auf die Tragödie in Osteuropa gerichtet. Wie lange die Krise andauert oder wie sehr sich zuspitzt, ist aktuell nicht absehbar. Absehbar ist indes, dass ihre wirtschaftlichen Folgen auf einen Boden fallen, in dem die Furchen der Pandemie noch allzu frisch sind.

Wie sind diese Langzeitauswirkungen von Corona einzuschätzen und welche Entwicklungen zeichnen sich vor diesem Hintergrund für Anleger ab?

In den letzten zwei Jahren eilten die Regierungen ihren Volkswirtschaften mit grosszügiger monetärer und fiskalischer Unterstützung zur Hilfe, um die Auswirkungen der Pandemie zu dämpfen. Allmählich wirft der Schuldenberg, dem wir nun als Gesellschaft gegenüberstehen, erste Schatten voraus. Nicht nur wegen der enormen Geldmengen, die er in Umlauf gebracht hat.

Wir gehen davon aus, dass im laufenden Jahr auch die Diskussion um den Schuldenabbau Fahrt aufnehmen wird. Mit ihr dürften auch die Themen Unternehmenssteuern und Vermögensumverteilung auf der politischen Agenda erscheinen. Aber was hat das mit Aktien zu tun?

  

© Vontobel 2022

In Krisenzeiten werden in der Regel die Starken stärker und die Schwachen schwächer. Es präsentieren Peter Romanzina, Head of Swiss Equities Research, und Daniel Signer, Global Head of Multi Asset Business.

 

  

Zusammenfassung der wichtigsten Themen im Video

  • Die fiskalische Unterstützung durch die Staaten hat entscheidend dazu beigetragen, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu dämpfen und die Risken einer Rezession zu minimieren. Die Intervention hat allerdings ihren Preis: nebst einer hohen Staatsverschuldung gehören dazu steigende Preise und die absehbare Diskussion zur Unternehmensbesteuerung.
  • In diesem Umfeld sind Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht (auf Englisch «Pricing Power») in der Regel im Vorteil. Dabei handelt es sich um Unternehmen mit robusten Geschäftsmodellen, soliden Bilanzen und der Fähigkeit, steigende Kosten an die Endkunden weiterzugeben. Sie sind dank ihrer Preissetzungsmacht auch gut gegen den Inflationsdruck abgesichert. All das erhöht die Chancen, dass sich ihre Aktien im Vergleich zur Konkurrenz vorteilhafter entwickeln.
  • Wie robust die Preissetzungsmacht eines Unternehmens ist, beurteilen Analysten basierend auf sechs Hauptindikatoren. Dazu gehören: Branchenkonzentration, eine starke Marke, hohe Wertschöpfung im Vergleich zum Preis, hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung, hohe Bruttomargen und wachsende Märkte.

    Lesen Sie mehr über «Pricing Power» in diesem Fokusartikel.

  

Ist jetzt die Zeit, um in Infrastrukturunternehmen zu investieren?

  • Ebenfalls in einer vorteilhaften Marktstellung finden sich Infrastrukturunternehmen in den Bereichen Kommunikation, Versorgung, Transport und Energie mit soliden Geschäftsmodellen. Sie bringen naturgemäss eine defensive Aktienkomponente ins Gesamtportfolio und verbinden eine interessante Diversifizierung mit der Aussicht auf attraktive Dividenden.
  • Unsere Anlageexperten gehen davon aus, dass in den kommenden Jahrzehnten enorme Summen in die Erweiterung und Renovierung bestehender Infrastrukturen investiert werden. Darüber hinaus wird auch die Entwicklung hin zu erneuerbaren Energien ein wichtiger Treiber für das Wachstum von Infrastrukturunternehmen sein.
  • In Anbetracht der hohen Staatsverschuldung werden die Regierungen die Finanzierung sowie die Erstellung und den Betrieb von Infrastrukturprojekten teilweise an private Anbieter vergeben und das eröffnet diesen Infrastrukturfirmen interessante Wachstumschancen.

«Börsennotierte Infrastrukturunternehmen verlieren in einem schwierigen Marktumfeld in der Regel deutlich weniger als der breitere Aktienmarkt.»

Daniel Signer, Global Head of Multi Asset Business

 

 

 

  

  

  

Porträt von Peter Romanzina, Head of Swiss Research

Experten-Interview

Sechs Fragen zu Schulden, Steuern, Preissetzungsmacht und Infrastruktur-Investments

 

  

Peter Romanzina, wie gut steht die Schweiz mit ihrem Schuldenberg da?

Auch die Schweizer Wirtschaft wurde von der Pandemie hart getroffen. In dieser Ausnahmesituation war es sinnvoll und wichtig, dass der Staat sowohl Haushalte als auch Firmen finanziell unterstützte, auch wenn daraus substanzielle Haushaltsdefizite entstanden. Natürlich ist es angezeigt, über die nächsten Jahre diese Situation wieder ins Lot zu bringen. Wir möchten diesen «Schuldenberg» in der Schweiz dennoch etwas relativieren. Einerseits stand die Schweiz bereits vor der Krise im internationalen Vergleich sehr gut da (siehe Grafik). Andererseits hat sich die Schweizer Wirtschaft auch während der Krise besser als zunächst befürchtet gehalten und entwickelt.

Drohen der Wirtschaft und letztlich den Haushalten substanziell höhere Steuern – oder können wir uns die Pandemie als Gesellschaft leisten?

Die gegenwärtigen Berechnungen von Economiesuisse zeigen, dass eine Rückzahlung der pandemiebedingen Verschuldung ohne Steuererhöhungen in zirka elf Jahren möglich wäre. Auch wenn gewisse Gemeinden bereits höhere Steuern angekündigt haben, glauben wir, dass der Anstieg in der Schweiz vergleichsweise moderat ausfallen wird.

«Eine Rück­zahlung der Staats­schulden wäre ohne Steuer­erhöhungen in zirka elf Jahren möglich.»

  

Im Zusammenhang mit der Inflation fällt das Stichwort «Pricing Power» wieder häufiger. Erleben wir gerade die Renaissance eines (fast) vergessenen Faktors bei der Analyse von Firmen?

«Pricing Power», also Preissetzungsmacht, ist generell ein wesentlicher Faktor bei unserer Analyse von Firmen und Sektoren. Wir bilden dies in unserem Research auch seit vielen Jahren in einer gesamtheitlichen Weise ab. Wir verstehen natürlich, dass die Diskussion jetzt wieder verstärkt aufkommt, weil viele Preise zu steigen begonnen haben. Deshalb ist die Analyse jedes einzelnen Unternehmens hinsichtlich der Preissetzungsmacht in den Vordergrund gerückt. Wer die Presse- oder Analystenkonferenzen der Firmen mitverfolgt, der weiss, wie viel Aufmerksamkeit die Firmen und Analysten diesem Thema beimessen. Wie so oft steckt auch hier der «Teufel im Detail». Das bedeutet, dass zu einem gewissen Grad die Gesamtbetrachtung einer Industriebetrachtung zielführend und hinreichend sein kann. Dennoch hat jedes Unternehmen für sich Eigenheiten, die es zu analysieren und evaluieren gilt.

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Daniel Signer, um beim Stichwort zu bleiben: Woher kommt die Pricing Power im Infrastrukturmarkt?
 

Viele Infrastrukturunternehmen haben eine monopolistische oder oligopolistische Markstellung. Der Wettbewerb und damit auch der Preisdruck sind limitiert. Denken Sie beispielsweise an einen Stromanbieter, einen Betreiber einer mautpflichtigen Autobahn oder einen Erdgaslieferanten. Konsumenten haben in der Regel keine Wahl, von welchem Anbieter sie den Strom oder das Gas beziehen wollen.

«Infrastruktur­unternehmen haben hohe Preis­setzungs­macht und sind gut gegen Inflation geschützt.»

Das führt dazu, dass diese Infrastrukturanbieter eine hohe Preissetzungsmacht haben. Damit die Unternehmen ihre Macht nicht ausnutzen, sind Infrastrukturunternehmen stärker reguliert als andere Sektoren. Das heisst, dass der Staat teilweise maximale Preise oder Renditen festschreibt. Oftmals haben die Verträge aber auch Anpassungsmechanismen festgelegt, die es den Unternehmen erlauben, ihre Preise anzupassen, zum Beispiel wenn die Inflation steigt. Die Unternehmen haben also auch einen guten «inhärenten» Inflationsschutz.

 
Auf einer Skala von «Wachstumschancen» bis «Crash-Schutz», wo würden Sie den Infrastruktursektor verorten?

Infrastrukturaktien sind und bleiben Aktien und damit den Kräften der Börsen ausgesetzt. Risikolos sind sie also bestimmt nicht. Aber im Vergleich zum breiteren Aktienmarkt sind Infrastrukturaktien deutlich defensiver, weil die Nachfrage sehr gut vorhersehbar und recht stabil ist. Um bei den obigen Beispielen zu bleiben. Strom und Gas brauchen Sie immer – egal, ob wir uns gerade in einer Rezession oder in einem Aufschwung befinden. Und auf die Autobahn verzichten Sie wohl auch nur, wenn gerade pandemiebedingt eine Homeoffice Pflicht gilt. In der Vergangenheit sind Infrastrukturunternehmen aber auch sehr konstant und kräftig gewachsen, nicht zuletzt dank strukturellen langfristigen Trends, die das Wachstum unterstützen. Zusammenfassend würde ich Infrastruktur als eine defensive Ergänzung in einem Aktienportfolio bezeichnen, da sie bei steigenden Aktienmärkten gut partizipieren, bei sinkenden Märkten aber in der Vergangenheit deutlich weniger verloren als der Gesamtmarkt.

Ein Zitat frei nach T. Harv Eker: «Warte nicht darauf, in Infrastruktur zu investieren – investiere in Infrastruktur und warte!» — Eignen sich Infrastrukturinvestments typischerweise nur für langfristig denkende Anleger? Ist bereits zu spät, wer jetzt buchstäblich auf den Zug aufspringen möchte?

Dieses Zitat gefällt mir. Infrastrukturaktien sind kein Thema, bei dem man versuchen muss, das richtige Timing zu erwischen. Infrastrukturprojekte sind langfristig und fahren wie eine unzerstörbare Diesellok. Über die nächsten Jahrzehnte sind enorme Investitionen notwendig, um die bestehende Infrastruktur im Schuss zu halten und sie weiter den Bedürfnissen der Kunden entsprechend auszubauen. Auch der Trend hin zu erneuerbaren Energien wird uns über Jahrzehnte beschäftigen und den Infrastrukturunternehmen volle Auftragsbücher bescheren. Es ist also sicherlich nicht zu spät, noch auf diesen gemächlich, aber stetig fahrenden Zug mitaufzuspringen.

 

  

 
 

  

 

  

  

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