«Stil und Mode – das sind zwei Paar Schuhe»

Insights, Nachhaltige Wertschöpfung
15.09.2017 Lesezeit: 5 Minute(n)

Auszug eines Interviews mit Mode-Designerin Christa de Carouge

Christa de Carouge geniesst als Designerin internationales Renommee. Im Vontobel Interview erläutert sie, was Kleider mit Stil zu tun haben. Und warum Mode nie ihr Konzept war.

Christa de Carouge

Christa de Carouges Kollektionen können im Layer-Look übereinander getragen werden. Sie sind grösstenteils in Schwarz gehalten, was ihr den Titel «La dame en noir» eintrug. © Foto: Severin Jakob

Ihre Inspiration hat sie aus Japan. Ihren Künstlernamen aus Genf. Und der Stoff, aus dem ihre Kleider sind, ist das Gedankengut des französischen Existenzialismus.

Christa de Carouge macht nicht einfach Mode. Sondern sie hat einen Kleiderstil geprägt, der ihr internationales Renommee einbrachte. Heute, mit 81 Jahren, hat sie sich aus dem Geschäft mit Kleidern zurückgezogen und widmet sich ganz der Kunst. Im November 2017 startet die «dame en noir» ihr nächstes grosses Experiment: Sie wird mit ihren Stoffen die Architektur des Kunsthaus Zug bespielen. «Bitte berühren», wird es da heissen, wenn sie mit Tuch-Installationen die Besucher zum Anfassen, Einkuscheln, Überziehen und Umhängen einlädt.

Frau de Carouge, was ist für Sie ein schöner Mensch?
Er muss zunächst von innen heraus schön sein. Dann geht die Schönheit vom Blick und von der Haltung aus.

Die Bekleidung spielt keine Rolle?
Nein, Kleider sind Accessoires.

Machen Sie sich ein Bild von einem Menschen, den Sie nur von der Stimme am Telefon kennen?
Ja, schon. Ich achte auf den Tonfall, wie er spricht, welches Vocabulaire er verwendet. Es ist eine Frage des Stils.

Was heisst Stil?
Entweder man mag es, oder man mag es nicht. Stil hat übrigens nichts mit Mode zu tun. Ich wollte nie Mode machen.

Kann man durch einen Stil seine Identität ausdrücken?
Ja, unbedingt. Ein Kleidungsstil ist wie Wohnen. Man fühlt sich mit einem Stil wohl, egal ob man steht oder sitzt oder liegt. Das war immer mein Anspruch an meine Kleider. Ich bewohne ein Kleid.

Man erkennt Parallelen zur Architektur.
Tatsächlich beschäftige ich mich bei meiner Arbeit oft mit Architektur. Nehmen Sie zum Beispiel Le Corbusier. Mit seinem Holzhäuschen, dem Cabanon, hat er gezeigt, wie wenig es braucht, um eigentlich alles zu haben. Und wenn der Cabanon noch an einem schönen Fleck Erde wie der Französischen Riviera liegt, ist es perfekt.

Von welchen Künstlern wurden Sie geformt und geprägt?
Es waren viele. In meinen jungen Jahren war es das Pariser Milieu des Existenzialismus mit Sartre, Simone de Beauvoir und all den schwarz gekleideten Menschen. An der Kunstgewerbeschule, die ich besuchte, war es der damalige Direktor Johannes Itten, der auch am Bauhaus in Weimar lehrte. Gottfried Honegger und Max Bill waren meine Mentoren.

Was haben Sie von diesen Mentoren gelernt? Wie haben sie Sie unterstützt?
Sie haben mich begleitet. Ich habe sie aber manchmal auch einfach beobachtet. Von Max Bill habe ich gelernt, konkret zu sein – ob ich Grafik, Kleider oder Inszenierungen gemacht habe. Er hat zu mir oft gesagt: «Bleib dir treu.» Diesem Credo bin ich immer gefolgt. Natürlich gab es auch Stolpersteine und der Weg führte nicht immer geradeaus. Aber ich bin meinen Weg gegangen. Deshalb bin ich heute mit 81 ein ganz zufriedener Mensch.

Welche Textilien verwenden Sie und wo werden sie verarbeitet?
Ich verwende meistens Polyesterstoffe. Sie kommen aus Japan und werden in Italien oder Spanien verarbeitet. Der Stoff wird mit heissem Dampf in die Plissee-Form gebracht. Dazu wird eine Vorrichtung verwendet, die man sich wie ein Waffeleisen vorstellen muss.

Sie beantragten 1978 eine Änderung Ihres Namens von «Furrer» zu «de Carouge». Wie wichtig war dieser Wechsel für Ihren beruflichen Erfolg?
Sie war sehr wichtig. Ich wollte in Carouge einen Laden unter meinem Namen eröffnen. Nur spricht man meinen Namen «Furrer» auf Französisch wie «Führer» aus. Das ging natürlich gar nicht. Also meldete ich mich beim Maire von Carouge und fragte ihn, ob ich den Namen in Christa de Carouge ändern könne. Er war ganz begeistert, sagte spontan zu und sorgte dafür, dass der neue Name im Pass als Künstlername eingetragen wurde.

Betrachten Sie sich selber als eine Marke?
Ja, ich bin eine Marke geworden.

Eine starke Marke hat einen hohen Wert. Würden Sie Ihren Namen verkaufen?
Niemals. Aber wir wiederholen das Geschäftsprinzip mit meiner Nachfolgerin. Sie ist türkischer Abstammung und heisst Deniz. Daraus haben wir «de Niz» gemacht.

Haben Sie Frau Deniz Ihr Geschäft verkauft?
Nein, ich habe ihr nur die Schnittmuster gegeben und die Stofflieferantenbeziehungen übertragen. Nun begleite ich sie wie eine Mutter beim Aufbau ihres Geschäfts. Sie war während über 20 Jahren meine beste Schneiderin. Sie konnte aufgrund einer meiner Skizzen spontan das Schnittmuster zeichnen und die handwerkliche Umsetzung aufzeigen. Doch meinen Namen behalte ich. Ein Verkauf wäre wie ein Verrat meiner Identität gewesen. Zudem habe ich mit dem Namen noch viel vor.

Zum Beispiel?
Von November 2017 bis Februar 2018 findet im Kunsthaus Zug eine Ausstellung statt. Sie heisst ganz einfach «Christa de Carouge».

Verraten Sie uns etwas mehr …
Es wird ganz sicher keine modische Ausstellung. Ich möchte Installationen machen. Ein Raum wird am Boden ganz mit Kleidern ausgelegt. Die Besucher dürfen über diese Kleider gehen, natürlich ohne Schuhe. Die Kleider sind wie ein Teppich, auf dem man leben und wohnen kann.

Passen Ihre Kreationen zu jedem Menschen?
Ja … wobei, nein, zu den Modepüppchen, die in High Heels immer den neusten Trends hinterherspringen, passen sie nicht. Das ist auch nicht meine Welt. Mich sehen Sie nie an einem Opernball und solchen Anlässen. Nie!

Wie halten Sie es mit kreativen Köchen?
Es sind vielleicht Künstler. Ich besuche sie aber nicht, weil ich nichts von der Nouvelle Cuisine halte. Das Modische ist auch hier nicht mein Stil.

Was ist denn Ihr kulinarischer Stil?
Eine gute Rösti, ein feines «Gschnätzlets», Siedfleisch, la Cuisine mijotée, die ehrliche Marktküche.

Wo gibt es das in Zürich?
Bei mir (lacht).

Dürfen wir gleich reservieren?

Früher hatte ich hier tatsächlich einen zweiten grossen Tisch für meine vielen Gäste. Doch ich bin jetzt 81, und mehr als acht Personen zu bekochen, mag ich nicht mehr.

Wie stark haben andere Kulturen Ihre Identität beeinflusst?
Sehr stark. Nehmen wir den japanischen Kimono. Ich besuchte den Zen-Mönch in Kyoto und liess mich in seine Kultur einweihen. Dort lernte ich, wie wichtig die Beschaffenheit des Kimono-Stoffs ist. Leider konnte mir niemand sagen, wo der Stoff erhältlich ist. Ich musste fünf Jahre suchen, bis ich an einer Stoffmesse in Paris einen japanischen Stand entdeckte, der genau solche Stoffe anbot.

Und dann entwarfen Sie den Kimono de Carouge?
Nein, ich war so glücklich und fasziniert, diesen Stoff gefunden zu haben, dass ich ihn erst zwei Jahre lang einfach ruhen liess und ihn immer wieder anschaute. Ich wollte jedoch nie einen Kimono kopieren. Das Einzige, was ich in meinen Entwürfen vom Kimono übernommen habe, sind die Ärmel und der Verschluss am Kragen. Die lange und schliesslich erfolgreiche Suche nach dem Kimono-Stoff lehrt uns übrigens, dass man nie aufgeben darf im Leben. Nie! Weitersuchen, weitermachen.
 

Über Christa de Carouge

Christa de Carouge ist Designerin und Modeschöpferin. Sie wuchs in Zürich auf, arbeitete in verschiedenen Grafikateliers und wandte sich in den 1960er-Jahren dem Modedesign zu. 1978 eröffnet sie ein eigenes Atelier im Genfer Vorort Carouge und 1983 ein Geschäft in der Mühle Tiefenbrunnen in Zürich, das sie Ende 2013 schloss.

Wer sind wir? Was macht uns aus? Die Frage nach unserer Identität bewegt die Gesellschaft. Antworten sucht die Kunst, die Wissenschaft, die Politik und jeder einzelne von uns. Das Interview mit Christa de Carouge ist einer von zahlreichen Beiträgen, die das Thema Identität aus einem neuen, inspirierenden Blickwinkel beleuchten. Wir publizieren sie hier als Teil unserer Serie «Impact».

 

  

 

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