Wie entsteht eine Inflation?

Ein Begriff zwischen «Staatsfeind Nr. 1» und «Liebling» der Schuldenpolitik

Insights, Perspektiven 2022 Aktualisiert am 13.04.2022
Ursprünglich veröffentlicht am 29.01.2022 von Michaela Huber, Reto Cueni, Stefan Eppenberger Lesezeit: 3 Minute(n)
Inflationseffekte: Warum steigen die Preise? Was ist Inflation, welche Arten von Inflation gibt es?

Bis vor kurzem war sie ein (fast) vergessenes Gespenst aus der Vergangen­heit. Heute jagt eine Inflations­schlagzeile die nächste – nicht nur in Wirtschafts­zeitungen. In diesem Grundlagen­artikel nehmen drei Ökonomen dem Gespenst seinen Schrecken.

Erfahren Sie, was Inflation überhaupt ist, wie sie entsteht und welches die häufigsten Arten der Inflation sind.

Inflation als Spielball der Politik

Der russische Revolutionär Wladimir Lenin hielt sie für ein gutes Mittel zur «Zer­schlagung der Bourgeoisie». Gerald Ford, der 38. Präsident der Vereinigten Staaten, erklärte sie zum «Staatsfeind Nummer eins». Nach ihm beschrieb sie Ronald Reagan als «gewalttätig wie ein Strassen­räuber, furcht­erregend wie ein bewaffneter Räuber und tödlich wie ein Auftrags­mörder».

Um die Inflation begreifbar zu machen, behelfen sich sogar gestandene Staatsmänner mit Metaphern, wie sie für bewaffnete Konflikte verwendet werden. Woher kommt diese reflexartige Inflationsangst, die vielen in den Knochen steckt?

Wenn die gute alte Ökonomie die Aufmerksamkeit von Wirtschaft und Politik, von links bis rechts und rund um den Globus auf sich zieht, dann lohnt es sich, das Schreck­gespenst mit nüchternen Fakten zu durchleuchten.

KURZ ERKLÄRT

Definition: Was ist Inflation?

Der Begriff «Inflation» beschreibt einen allge­meinen Anstieg der Preise für Waren und Dienst­leis­tungen in einer Volks­wirt­schaft. Dieser «allgemeine Anstieg» für eine Vielzahl von Waren und Dienst­leistungen ist wichtig – Inflation entsteht nicht dadurch, dass ein einzelner Gegen­stand teurer wird, sondern nur dann, wenn es zu einem Preis­an­stieg auf breiter Basis kommt. Im Laufe der Zeit schmälert dieser Preis­an­stieg die Kauf­kraft einer bestimmten Währung in einer Volks­wirtschaft.

Importierte Inflation

Inflation kann nicht nur Aus­wirkungen auf die heimische Währung eines Landes haben. Sie be­ein­flusst unter Um­ständen auch den Wechsel­kurs des Landes gegenüber anderen Ländern und hat damit Folgen für den Handel mit Waren und Dienst­leis­tungen. Denn je mehr die Währung eines Landes auf dem Devisen­markt an Wert verliert, desto höher ist der Preis, den das Land für Importe zahlen muss. Das wirkt sich im Fall von Roh­stoffen oder Energie auch auf die inländischen Produk­tions­kosten eines Landes aus.

  

 

  

Wie kommt es zu einer Inflation?

Dass die Preise 2021 anziehen würden, kam für die meisten Analysten wenig überraschend. Aufgrund sogenannter Basis­effekte, Angebots-Nachfrage-Eng­pässen und des starken wirtschaftlichen Auf­schwungs nach den Lockdowns war es nur eine Frage der Zeit, bis sich ein gewisses Mass an Inflation bemerkbar machen würde.

Die Ursachen für eine Inflation führen wir auf den Zeit­horizont ihres Einflusses zurück. In unseren Analysen unterscheiden wir daher kurz-, mittel- und lang­fristige Faktoren.

  

Drei Faktoren, die Preise in die Höhe treiben können

  • Kurzfristige, zyklische Faktoren

    Wir betrachten Inflation als «kurzfristig», wenn sie einen Zeitraum von einem Jahr nicht überdauert.

    Ein wichtiger kurzfristiger Faktor sind zum Beispiel Lieferengpässe, wie sie die Pandemie ausgelöst hat. Vor allem die Auto­mobil­hersteller können ein Lied davon singen: Viele von ihnen hatten Schwierig­keiten, an Halbleiter­chips und andere Fahrzeug­komponenten zu kommen, nachdem verschiedene asiatische Fabriken über Wochen stillgestanden waren.

    Abgesehen davon kann auch ein plötzlicher Anstieg der Nachfrage zu höheren Preisen führen. Dies war zum Beispiel bei der Wiederer­öffnung der Wirtschaft nach den Lock­downs der Fall.

    Andere Faktoren können wetter­bedingt sein. Denken wir etwa an den Frost in Brasilien, der letztes Jahr die Preise für Zucker- und Kaffee-Futures in die Höhe trieb, an Dürren, die die Ernte der Landwirte zunichtemachen, oder an einen uner­wartet strengen Winter, der zu einer erhöhten Nachfrage nach Heizöl führt.

    Die mitunter erhebliche Volatilität von Lebensmitteln und Energie­produkten ist auch der Grund, warum Ökonomen gerne zwischen der so genannten «Gesamtinflation» und der «Kerninflation» unterscheiden.* Erstere enthält auch Ausgaben für volatile Posten wie Lebens­mittel und Energie. Die Kerninflation hingegen klammert diese Komponenten aus und wird als Indikator für die zugrunde liegende, langfristige Inflation betrachtet.

    Schliesslich beeinflussen die Inflation auch saisonale Faktoren, etwa die Weih­nachtszeit, oder ausserordentliche Ereignisse wie Unfälle während des Produktions- oder Transportprozesses.


    * Die Länder haben hier unterschiedliche Ansätze. Während einige Länder nur zwischen Gesamtinflation und Kerninflation unterscheiden, verfolgen andere einen noch detaillierteren Ansatz. Japan zum Beispiel unterscheidet zwischen Gesamtinflation, «core»-Kerninflation (ohne frische Lebensmittel, aber einschliesslich Energie) und «core core»-Kerninflation (ohne frische Lebensmittel und ohne Energie).

  • Mittelfristige Faktoren


    Nach unserer Definition dauern mittelfristige Faktoren in der Regel ein bis zwei Jahre. Mittelfristige Faktoren sind nicht unbedingt strukturell, aber haben das Potenzial, struktureller Natur zu werden.

    Ein wichtiger mittel­fristiger Faktor ist eine expansive Geld­politik. Wenn «mehr Geld für die gleiche Anzahl von Waren aus­gegeben wird», wenn also die Geldmenge in einer Volkswirt­schaft schneller wächst als die Fähigkeit der Wirtschaft, Waren und Dienstleis­tungen zu produ­zieren, dann kann man steigende Preise erwarten.*

    «Die These, dass eine höhere Geld­menge zu Inflation führt, ist sicher­lich eine der ältesten und be­stän­dig­sten in der Öko­no­mie.»
     


    Grössere Geldmenge = steigende Preise?

    Es gibt mehrere Fälle, in denen sich diese These bewahrheitet hat:

    • Ein Beispiel ist der amerika­nische Bürger­krieg (1861–1865). Damals waren die Konföderierten nicht gewillt, den Krieg über höhere Steuern zu finan­zieren. Sie befürchteten, dass dies die öffentliche Unter­stützung für ihre Sache untergraben würde. Also versuchten sie, den Grossteil ihrer Ausgaben durch das «Drucken» von Geld zu decken. Die Ausgabe grosser Mengen von US-Treasuries trieb die Preise in der Konföderation schliesslich um mehr als 9,000 Prozent in die Höhe – gegenüber «nur» 80 Prozent im Norden.

    Einige argumentieren jedoch, dass diese These nicht immer zutrifft:

    • So haben die Zentralbanken die Märkte nach der globalen Finanzkrise mit reichlich geld­politischem Stimulus versorgt und dies mehr als ein Jahrzehnt lang fortgesetzt, ohne dass es nennenswerte Auswirkungen auf die Verbraucher­preise hatte.
    • Ein noch interessanterer Fall ist in Japan zu beobachten. Dort verharrt die Inflation trotz jahr­zehnte­langer ultra­lockerer Geldpolitik auf tiefem Niveau.

    Unsere Schlussfolgerung ist, dass wir ein erhöhtes Geld­mengen­wachstum als notwendigen Faktor für mehr Inflation ansehen, aber auch als einen, der nicht zwingend zu mehr Inflation führt.

     
    «Wer mit höheren Preisen rechnet, hat einen Anreiz, jetzt und nicht später zu investieren


    Ein weiterer mittelfristiger Faktor ist ironischer­weise die Inflation selbst – beziehungs­weise die Erwartung derselben. Inflations­erwartungen spiegeln wider, wie stark die Preise in den Augen der Verbraucher, Unternehmen oder Investoren künftig steigen werden. Die Überlegung dahinter: Wer mit höheren Preisen rechnet, hat einen Anreiz, jetzt und nicht später zu investieren.

    Dies kann wiederum die Inflation in die Höhe treiben.

     

      

    *  Wie wird die Geldmenge gemessen? Es gibt verschiedene Mess­grössen, von denen die bekanntesten mit M0, M1, M2 und M3 abge­kürzt werden. M0 bezieht sich auf den gesamten physischen Geld­umlauf, M1 umfasst M0 und fügt auch Sicht­einlagen, täglich fällige Einlagen und Giro­konten hinzu, also Geld, das sofort verfügbar ist (so genanntes «narrow money»). M2 umfasst neben M1 auch leicht konvertier­bares Geld wie Spar­einlagen oder Termin­einlagen, die in der Regel mit einer Kündigungs­frist von bis zu drei Monaten ausgestattet sind. M3 hingegen, auch als «broad money» bezeichnet, umfasst neben M2 auch grosse Termin­einlagen bei Banken und marktfähige Wert­papiere mit einer Lauf­zeit von höchstens zwei Jahren.

      

  • Langfristige, strukturelle Faktoren

    Wir defi­nieren als «langfristig» alles, was länger als zwei Jahre an­dauert.

    Langfristige Faktoren sind eher struktureller Natur, zum Beispiel demografische Entwicklungen wie die Alterung der Bevölkerung. Ein weiteres Beispiel ist die zuneh­mende De-Globalisierung und langfristige Polari­sierung rund um den Globus – man denke nur an die Verlagerung der Liefer­ketten von den Entwicklungs­ländern in die Industrie­länder.

    Auch der Klima­wandel kann als langfristiger Faktor betrachtet werden: Nehmen Naturkatastrophen weiter zu, müssen inflations­treibende Produktions­schwankungen – ähnlich wie nach den Lockdowns – einkalkuliert werden.

    Zudem wird davon ausgegangen, dass auch die Umstellung auf eine «grünere» Zukunft die Preise in die Höhe treibt. Finanziert werden müssen unter anderem der Ausstieg aus Kohle und Öl oder die Isolierung von Gebäuden. Dies wird auch als «Greenflation» bezeichnet. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang auch Lenkungsprogramme wie die Bepreisung von Kohlen­dioxid.

 

  

  

Aktuell: Inflation Schweiz im Kontext (1870–2022)

Die im April veröffentlichten Inflations­zahlen für März 2022 liegen in den USA mit 8.54% deutlich über den für die Schweiz gemeldeten 2.4%. Das war aber nicht immer so, wie ein Blick auf die letzten 150 Jahre zeigt. Als Basis der nach­folgenden Grafik dient der so­genannte Konsumenten­preisindex (Consumer Price Index, CPI). Die Zahlen für die Schweiz vor 1922 beruhen auf Schätzwerten von Forschenden.

 

Vor dem zweiten Weltkrieg waren die Inflationsschocks höher als in den USA

 

Inflation Schweiz 2022 im Vergleich zur Inflation USA 2022: Inflationsraten historisch zurück bis 1870 (Animation)


Inflation in den USA 2022 und zurück bis 1870 (CPI in %)
 Inflation in der Schweiz 2022 und zurück bis 1870 (CPI in %)

© Vontobel 2022, basierend auf Forschungs­ergeb­nissen von Niko Hauzen­berger, Daniel Kaufmann, Rebecca Stuart, Cédric Tille: «Interest rates in Switzerland 1852–2020», Fundamentals for Economic Policy No. 24, Staats­sekretariat für Wirtschaft SECO, Bern, Switzerland (2021), sowie Daten des Bundes­amts für Statistik (BFS), Global Financial Data, Refinitiv Datastream.

  

  

So führt "demand pull" zu Inflation: die Preise steigen, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt
 

  

Häufigste Inflations­arten

Welche Arten der Inflation unterscheidet die Ökonomie?

  • Am häufigsten ist in Lehrbüchern von «Demand-pull»- und «Cost-push»-Inflation zu lesen.
  • Daneben existieren auch extremere Formen wie die Stagflation.

  

  

Demand-pull-Inflation

Sie tritt auf, wenn in einer Volkswirtschaft die Nachfrage das Angebot übersteigt und dadurch die Preise in die Höhe treibt. Doch wie kann die Nachfrage das Angebot übersteigen?

  • Mehr dazu

    Ein solches Szenario kann sich zum Beispiel in einer boomenden Wirtschaft entwickeln.

    Wenn die Haushalte zuversichtlich sind, was die wirtschaftlichen Aussichten angeht, neigen sie dazu, mehr auszugeben, als wenn sie glauben, dass härtere Zeiten bevorstehen. Manche argumentieren auch, dass staatliche Massnahmen die Preise in die Höhe treiben können. Steuersenkungen zum Beispiel erhöhen das verfügbare Einkommen der Verbraucher. Dadurch sind sie in der Lage, mehr Geld auszugeben, was auch zu einer höheren Inflation führen sollte.

    Zudem sind viele Ökonomen der Meinung, dass die Konjunkturpakete, die nach der Pandemie lanciert wurden, dazu geführt haben, dass «zu viel Geld für zu wenig Waren» ausgegeben wurde, was die Preise in die Höhe getrieben hat.

 

  

  

  

So entsteht Cost-push Inflation: Rohstoffmangel limitiert das Angebot – die Nachfrage bleibt gleich

  

Cost-push-Inflation

Dieser Typ Inflation entsteht, wenn die Nachfrage gleichbleibt, während das Angebot an Waren oder Dienst­leistungen begrenzt ist.

Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein erheblicher Mangel an Roh­stoffen oder Arbeits­kräften entsteht, der die Preise oder Löhne in die Höhe treibt.

  • Vergangene Fälle von Cost-push-Inflation

    Diese Art von Inflation wird häufig durch ein externes Ereignis oder einen Mangel an Investitionen ausgelöst, der später zu einem Unter­angebot führen kann.

    Ein solches historisches Ereignis war in den 1970er-Jahren die Entscheidung der OAPEC, der Organisation der Arabischen Erdöl exportierenden Länder, ein Erdölembargo gegen die Vereinigten Staaten zu verhängen.

    • Die Kürzungen trieben den Ölpreis auf beinahe den vierfachen Preis: von 2,90 US-Dollar pro Barrel (vor dem Embargo) auf 11,65 US-Dollar pro Barrel (im Januar 1974).
    • Mit der Verteuerung des Benzins verteuerte sich auch der Transport, was dazu führte, dass viele Unternehmen ihre Produktion zurückfahren mussten, da sie sich die höheren Kraftstoff- und Transportkosten nicht leisten konnten.*


    * Den Grundstein für die hohe Inflation der 1970er-Jahre legten nicht die Tur­bulenzen auf den Öl­märkten. Schon davor belasteten der Kalte Krieg, Raum­fahrt­programme und andere Faktoren den US-Staatshaushalt.

  • Aktuelle Cost-push-Inflation

    Covid-19 machte uns zu Zeitzeugen zahlreicher Beispiele für Cost-push-Inflation. Man denke nur an die unerwartet hohen Shipping-Kosten, aufgrund derer Frachtraten etwa fünfmal so hoch sind wie im Durchschnitt der letzten zehn Jahre, oder an die temporäre Schliessung von Fabriken:

    • Schliessungen in Vietnam hatten erhebliche Auswirkungen auf Bekleidungs- und Schuhhändler wie Nike oder Under Armour.
    • Schliessungen von Halbleiterwerken in Malaysia wirkten sich teils erheblich auf die globale Verfügbarkeit von Computerchips aus. Denn das Land spielt eine wenig bekannte, aber wichtige Rolle in den Lieferketten. Laut Angaben der Malaysian Investment Development Authority werden etwa sieben Prozent des Welthandels für Halbleiter über das Land abgewickelt.

    Ein weiteres Beispiel lieferte 2019 die Afrikanische Schweine­pest in China. Mehr als eine Million Schweine mussten gekeult werden, was zu einer Schweine­fleisch­knappheit führte. Die Preise für Schweine­fleisch stiegen im November 2019 um 110 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und trieben die chinesische Inflation auf ein Acht­jahres­hoch.

 

  

  

  

Eine Art extremer Inflation ist die Stagflation. Steigende Preise treffen auf stagnierendes Wachstum

  

Stagflation

Wenn alles Schlechte zusammenkommt

Bei der Stagflation treffen vier Faktoren aufeinander: steigende Preise, stagnierendes Wirtschaftswachstum, enttäuschende Unternehmensgewinne und hohe Arbeitslosigkeit.

Während sich Ökonomen über die Ursachen der Stagflation uneins sind, werden Argumente wie eine schlechte Wirtschaftspolitik und Angebotsschocks am häufigsten angeführt.

  • Mehr dazu

    Fehlgeleitete Wirtschaftspolitik kann sich in Form von unternehmensfeindlichen Massnahmen oder hohen Steuern äussern und geht in der Regel mit einer zu schnell wachsenden Geldmenge einher. In den USA beispiels­weise ebneten die wirtschaftlichen Boom­jahre der späten 1950er- und 1960er-Jahre den Weg für die Stagflation der 1970er-Jahre.

    Angebotsschocks hingegen können auftreten, wenn eine Volks­wirtschaft eine plötzliche Zu- oder Abnahme des Angebots einer Ware oder Dienstleistung erlebt. Beispiele hierfür sind Energie-, Nahrungsmittel- oder Arbeits­angebots­schocks, wie sie in der Weimarer Republik vorkamen.

    Apropos Angebotsschock: Insbesondere die derzeitige Situation hat Befürchtungen geschürt, dass wir bald in eine Stagflation eintreten könnten. Auch wenn wir ein solches Szenario nicht ausschliessen können, halten wir es derzeit nicht für wahrscheinlich.

    Zwar stimmt es, dass das Wirtschafts­wachstum etwas an Schwung verloren hat. Allerdings trügt der direkte Vergleich mit dem ausser­ordentlichen Aufschwung nach den ersten Lockdowns. Blickt man darüber hinaus, bleibt vom jetzigen Rückgang ein Wachstum, das höher ist als vor der Pandemie.

    Hinzu kommt, dass in vielen Teilen der Welt die Arbeitslosen­zahlen sinken und die Unternehmens­gewinne weiterhin solide sind. Letzteres wurde durch die Berichts­saison für das dritte Quartal 2021 einmal mehr bestätigt: Die Zahlen zeigten, dass viele Unternehmen trotz steigenden Preis­drucks weiterhin positiv überraschen können.

    Auch sind die Finanzen der privaten Haushalte nach wie vor solide – ein gutes Zeichen für zukünftigen Konsum.

     

    Grafik: Sparquote der Haushalte (in Prozent zum Einkommen)

    Trotz Inflation bleibt die Sparquote pro Haushalt über dem Niveau von vor der Pandemie

    USA   Schweiz
    UK   Japan
    China   Eurozone


    © Vontobel 2002. Quelle: Refinitiv Datastream, Oxford Economics, Vontobel

    Die Sparquote liegt weltweit vielerorts deutlich über dem Niveau vor der Krise.

 

  

So führt "demand pull" zu Inflation: die Preise steigen, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt
 

  

Häufigste Inflations­arten

Welche Arten der Inflation unterscheidet die Ökonomie?

  • Am häufigsten ist in Lehrbüchern von «Demand-pull»- und «Cost-push»-Inflation zu lesen.
  • Daneben existieren auch extremere Formen wie die Stagflation.

  

  

Demand-pull-Inflation

Sie tritt auf, wenn in einer Volkswirtschaft die Nachfrage das Angebot übersteigt und dadurch die Preise in die Höhe treibt. Doch wie kann die Nachfrage das Angebot übersteigen?

  • Mehr dazu

    Ein solches Szenario kann sich zum Beispiel in einer boomenden Wirtschaft entwickeln.

    Wenn die Haushalte zuversichtlich sind, was die wirtschaftlichen Aussichten angeht, neigen sie dazu, mehr auszugeben, als wenn sie glauben, dass härtere Zeiten bevorstehen. Manche argumentieren auch, dass staatliche Massnahmen die Preise in die Höhe treiben können. Steuersenkungen zum Beispiel erhöhen das verfügbare Einkommen der Verbraucher. Dadurch sind sie in der Lage, mehr Geld auszugeben, was auch zu einer höheren Inflation führen sollte.

    Zudem sind viele Ökonomen der Meinung, dass die Konjunkturpakete, die nach der Pandemie lanciert wurden, dazu geführt haben, dass «zu viel Geld für zu wenig Waren» ausgegeben wurde, was die Preise in die Höhe getrieben hat.

 

  

  

  

So entsteht Cost-push Inflation: Rohstoffmangel limitiert das Angebot – die Nachfrage bleibt gleich

  

Cost-push-Inflation

Dieser Typ Inflation entsteht, wenn die Nachfrage gleichbleibt, während das Angebot an Waren oder Dienst­leistungen begrenzt ist.

Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein erheblicher Mangel an Roh­stoffen oder Arbeits­kräften entsteht, der die Preise oder Löhne in die Höhe treibt.

  • Vergangene Fälle von Cost-push-Inflation

    Diese Art von Inflation wird häufig durch ein externes Ereignis oder einen Mangel an Investitionen ausgelöst, der später zu einem Unter­angebot führen kann.

    Ein solches historisches Ereignis war in den 1970er-Jahren die Entscheidung der OAPEC, der Organisation der Arabischen Erdöl exportierenden Länder, ein Erdölembargo gegen die Vereinigten Staaten zu verhängen.

    • Die Kürzungen trieben den Ölpreis auf beinahe den vierfachen Preis: von 2,90 US-Dollar pro Barrel (vor dem Embargo) auf 11,65 US-Dollar pro Barrel (im Januar 1974).
    • Mit der Verteuerung des Benzins verteuerte sich auch der Transport, was dazu führte, dass viele Unternehmen ihre Produktion zurückfahren mussten, da sie sich die höheren Kraftstoff- und Transportkosten nicht leisten konnten.*


    * Den Grundstein für die hohe Inflation der 1970er-Jahre legten nicht die Tur­bulenzen auf den Öl­märkten. Schon davor belasteten der Kalte Krieg, Raum­fahrt­programme und andere Faktoren den US-Staatshaushalt.

  • Aktuelle Cost-push-Inflation

    Covid-19 machte uns zu Zeitzeugen zahlreicher Beispiele für Cost-push-Inflation. Man denke nur an die unerwartet hohen Shipping-Kosten, aufgrund derer Frachtraten etwa fünfmal so hoch sind wie im Durchschnitt der letzten zehn Jahre, oder an die temporäre Schliessung von Fabriken:

    • Schliessungen in Vietnam hatten erhebliche Auswirkungen auf Bekleidungs- und Schuhhändler wie Nike oder Under Armour.
    • Schliessungen von Halbleiterwerken in Malaysia wirkten sich teils erheblich auf die globale Verfügbarkeit von Computerchips aus. Denn das Land spielt eine wenig bekannte, aber wichtige Rolle in den Lieferketten. Laut Angaben der Malaysian Investment Development Authority werden etwa sieben Prozent des Welthandels für Halbleiter über das Land abgewickelt.

    Ein weiteres Beispiel lieferte 2019 die Afrikanische Schweine­pest in China. Mehr als eine Million Schweine mussten gekeult werden, was zu einer Schweine­fleisch­knappheit führte. Die Preise für Schweine­fleisch stiegen im November 2019 um 110 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und trieben die chinesische Inflation auf ein Acht­jahres­hoch.

 

  

  

  

Eine Art extremer Inflation ist die Stagflation. Steigende Preise treffen auf stagnierendes Wachstum

  

Stagflation

Wenn alles Schlechte zusammenkommt

Bei der Stagflation treffen vier Faktoren aufeinander: steigende Preise, stagnierendes Wirtschaftswachstum, enttäuschende Unternehmensgewinne und hohe Arbeitslosigkeit.

Während sich Ökonomen über die Ursachen der Stagflation uneins sind, werden Argumente wie eine schlechte Wirtschaftspolitik und Angebotsschocks am häufigsten angeführt.

  • Mehr dazu

    Fehlgeleitete Wirtschaftspolitik kann sich in Form von unternehmensfeindlichen Massnahmen oder hohen Steuern äussern und geht in der Regel mit einer zu schnell wachsenden Geldmenge einher. In den USA beispiels­weise ebneten die wirtschaftlichen Boom­jahre der späten 1950er- und 1960er-Jahre den Weg für die Stagflation der 1970er-Jahre.

    Angebotsschocks hingegen können auftreten, wenn eine Volks­wirtschaft eine plötzliche Zu- oder Abnahme des Angebots einer Ware oder Dienstleistung erlebt. Beispiele hierfür sind Energie-, Nahrungsmittel- oder Arbeits­angebots­schocks, wie sie in der Weimarer Republik vorkamen.

    Apropos Angebotsschock: Insbesondere die derzeitige Situation hat Befürchtungen geschürt, dass wir bald in eine Stagflation eintreten könnten. Auch wenn wir ein solches Szenario nicht ausschliessen können, halten wir es derzeit nicht für wahrscheinlich.

    Zwar stimmt es, dass das Wirtschafts­wachstum etwas an Schwung verloren hat. Allerdings trügt der direkte Vergleich mit dem ausser­ordentlichen Aufschwung nach den ersten Lockdowns. Blickt man darüber hinaus, bleibt vom jetzigen Rückgang ein Wachstum, das höher ist als vor der Pandemie.

    Hinzu kommt, dass in vielen Teilen der Welt die Arbeitslosen­zahlen sinken und die Unternehmens­gewinne weiterhin solide sind. Letzteres wurde durch die Berichts­saison für das dritte Quartal 2021 einmal mehr bestätigt: Die Zahlen zeigten, dass viele Unternehmen trotz steigenden Preis­drucks weiterhin positiv überraschen können.

    Auch sind die Finanzen der privaten Haushalte nach wie vor solide – ein gutes Zeichen für zukünftigen Konsum.

     

    Grafik: Sparquote der Haushalte (in Prozent zum Einkommen)

    Trotz Inflation bleibt die Sparquote pro Haushalt über dem Niveau von vor der Pandemie

    USA   Schweiz
    UK   Japan
    China   Eurozone


    © Vontobel 2002. Quelle: Refinitiv Datastream, Oxford Economics, Vontobel

    Die Sparquote liegt weltweit vielerorts deutlich über dem Niveau vor der Krise.

 

  

  

  

Gewinner und Verlierer in einem inflationären Umfeld

Wer hat am meisten unter steigenden Preisen zu leiden?

Zuerst einmal Sparer, da höhere Preise den realen Wert ihrer Ersparnisse verringern.

Betroffen sind auch Arbeitnehmende, die an feste Lohn­verträge gebunden sind, oder Kreditgeber wie Banken, die feste Zins­zahlungen für ihr Geld vereinbart haben. Nicht zu vergessen Importeure, deren gehandelte Waren in der Regel teurer werden, wenn die Landes­währung mit einer höheren (inländischen) Inflationsrate gegenüber Währungen mit geringerer Inflation an Wert verliert.

Andere profitieren von höheren Preisen

In der Regel sin dies alle, die Schulden mit einer nominell festen Zins­zahlung haben, wie verschuldete Regierungen, Unternehmen und Haushalte.

Unternehmen mit einer hohen Schuldenlast profitieren in der Regel ebenfalls. Denn ein inflationäres Umfeld ermöglicht es ihnen oft, die höheren Preise an die Verbraucher weiterzugeben. Das «zusätzliche Geld», das dabei entsteht, kann dann zur Tilgung ausstehender Schulden verwendet werden.

Zudem können auch Privatpersonen, die in so genannte Inflationsabsicherungen (Sachwerte wie Immobilien, Rohstoffe oder Gold) investiert haben, profitieren, wenn der Wert ihrer Anlagen steigt.


 

  

  

  

 

  

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