Die nächste Ära der Weltordnung
Mit Chinas neuer digitaler Macht akzentuiert sich das Kräftemessen um die geopolitische Dominanz. Wer wird die neue Supermacht im digitalen Zeitalter?
«Im Ukraine-Krieg ist Chinas Aussenpolitik grundlegend auf dem Prüfstand.»
Markus Herrmann Chen, Managing Director der China Macro Group (CMG)
Die Winterspiele in Peking haben der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt, wie wohlwollend die beiden Grossmächte Russland und China sich begegnen. Und doch hat es Xi Jinping seit Kriegsausbruch unterlassen, sich proaktiv auf die Seite Putins zu stellen. Aus gutem Grund: Der Krieg in der Ukraine offenbart zwei Dilemmata in Chinas Selbstverständnis.
© Vontobel, 13. Mai 2022, 08.00 Uhr
Aufzeichnung des Expertengesprächs zwischen Dan Scott, Head Multi Asset, und Markus Herrmann Chen, Managing Director der China Macro Group (CMG), eines europäischen Forschungs- und Beratungsunternehmens mit Schwerpunkt China.
1. Chinas politisches Dilemma
Das menschliche Leid in der Ukraine, das seit Wochen nur schlimmer wird, lässt auch die chinesische Bevölkerung nicht kalt. Entsprechend kann sich Peking nicht öffentlich für Russlands Krieg aussprechen.
Auf der anderen Seite hat China aber geo-strategische Interessen an einer Partnerschaft mit Russland. Motiviert ist diese zum einen von einer gemeinsamen Allianz gegen den Westen – ganz nach dem Motto «meines Feindes Feind ist mein Freund». Zum anderen verspricht sich China Zugang zu russischer Militärtechnologie sowie Energie- und Nahrungsmittelsicherheit. Je grösser das Risiko einer geopolitischen Entkopplung zwischen Ost und West wird, desto wichtiger sind autarke Partner. Chinas Erklärung, regierungsnahe IT komplett von westlichen Komponenten unabhängig zu machen, ist nur das jüngste Beispiel einer Polarisierung, die sich seit Jahren abzeichnet.
2. Chinas normativ-konzeptionelles Dilemma
Auf der Bühne der Weltöffentlichkeit setzt sich China demonstrativ für territoriale Integrität ein. Elfmal machte das ständige Mitglied im Weltsicherheitsrat im letzten Jahrzehnt von seinem Vetorecht Gebrauch. Das war meist der Fall, wenn ein Vorstoss die Souveränität eines anderen Staates infrage stellte – so zum Beispiel im Kontext der Nahost-Konflikte.
Auf der anderen Seite misst China regionalen Sicherheitsinteressen von Staaten einen hohen Stellenwert bei. Genau mit diesem Argument wird aus chinesischer Sicht Putins Vorgehen in der Ukraine legitimiert, wodurch Integrität und Sicherheit in einen normativen Konflikt geraten.