Neue Welt, neue Chancen

Insights, Geopolitics, Pandemics
27.10.2022 Lesezeit: 6 Minute(n)
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Wie investiert man in einer Welt, die auf den Kopf gestellt wurde? Die Inflationsraten schiessen in die Höhe, die Zinsen steigen und der Ukraine-Krieg hat eine menschliche Tragödie, Lieferkettenprobleme sowie eine Energiekrise ausgelöst. Zwar gibt dieses Umfeld wenig Anlass zur Hoffnung, doch die Portfoliomanager von Vontobel erläutern, warum Anleger dennoch investiert bleiben sollten und welche Bereiche zu empfehlen sind. Der nachfolgende Artikel gibt einen Überblick über die Einschätzungen, die auf der Anlage-Konferenz, die vor Kurzem stattfand, von Vontobel präsentiert wurden. Michel Salden und Kerstin Hottner bewerten die Lage an den Rohstoffmärkten, Ramiz Chelat äussert sich zu Aktien, Thomas Schaffner zu mtx Equities und Wouter van Overfelt liefert Einblicke in das Segment Emerging-Markets-Unternehmensanleihen.

Investiert bleiben

Man sagt, Anlegen ist wie das Atmen – man kann nicht einfach damit aufhören. Das heisst, dass, auch wenn im aktuellen Umfeld viele Sorgen auf Anlegern lasten, ein passives Abwarten im Moment wahrscheinlich nicht die beste Strategie ist. Eine Möglichkeit, um Anlageportfolios für die sich verändernde Risikolandschaft zu wappnen, ist Diversifizierung. Aber bergen die neuen Risiken auch Chancen? Wir haben unsere Portfoliomanager um eine Einschätzung verschiedener Anlageklassen gebeten.

  

Rohstoffe – eine Einschätzung von Michel Salden und Kerstin Hottner

«Portfolios müssen diversifiziert sein, und Rohstoffe haben sich als gute Diversifizierungsquelle erwiesen», so Michel Salden, Senior Portfolio Manager für Rohstoffe bei Vontobel. «Das liegt daran, dass die neuen Entwicklungen, d. h. der Inflationsdruck und die steigenden Zinsen, durch einen Anstieg der Rohstoffpreise ausgelöst wurden.»

→ Für den Rohstoffsektor beginnt nun eine neue Phase, nachdem er sich jahrelang schlechter entwickelt und weniger Rendite erwirtschaftet hat als der breite Markt. Dies war unter anderem darauf zurückzuführen, dass die USA den Weltmarkt mit grossen Mengen von Schieferöl und -gas versorgt haben. Dadurch blieb die Inflation unter Kontrolle, und die Zentralbanken konnten im vergangenen Jahrzehnt an ihrer Nullzinspolitik festhalten. Doch inzwischen sind die Produktionskapazitäten für Rohstoffe weltweit knapp, während die Nachfrage steigen wird. Der derzeit zu beobachtende Inflationsdruck wird noch eine Weile anhalten.

In den kommenden 20 Jahren werden die Emerging Markets die Haupttreiber an den Rohstoffmärkten sein. Anleger aus Europa und den USA scheinen dies noch nicht realisiert zu haben.

«Uns steht ein gewaltiger Nachfrageschock bevor: Die Energienachfrage aus den Schwellenländern wird sich in den kommenden zwei Jahrzehnten verdoppeln. Durch die wachsende Mittelschicht in diesen Ländern wird ihr Verbrauch zunehmen», erklärt Kerstin Hottner, Fondsmanagerin für Rohstoffe bei Vontobel. «Solang niemand gewillt ist, in Produktionskapazitäten zu investieren, werden die Lagerbestände niedrig bleiben und die Volatilität an den Rohstoffmärkten wird anhalten.»

→ Hohe Energiepreise wirken sich auf die Agrarmärkte aus, da die landwirtschaftliche Produktion mit den Dieselpreisen zusammenhängt und die Preise für Düngemittel von Erdgas abhängen. Auch am Metallmarkt sind die Auswirkungen der höheren Energiepreise zu spüren. Da Schmelzprozesse sehr energieintensiv sind, haben einige Aluminium- und Zinkhütten schon ihren Betrieb eingestellt. Das führt schliesslich zu einem niedrigeren Angebot und somit zu einer Knappheit, die bei vielen Metallen bereits zu beobachten ist. Ab 2025 könnte sich die Verknappung noch verschärfen. Das würde bedeuten, dass die Metallpreise weltweit ansteigen müssten, um künftig die Produktion anzukurbeln.

→  Für manche Menschen bedeutet die Energiewende, dass wir alle E-Autos fahren werden. Doch diese Vorstellung ist nicht ganz korrekt. Sie mag wahrscheinlich auf die Industrielänger zutreffen, wo die Nachfrage nach Öl zurückgehen wird, allerdings ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach Öl und Gas in den Schwellenländern zunehmen wird.

Man darf zudem nicht ausser Acht lassen, dass für die Energiewende, d. h. die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf emissionsarme Energiequellen, viele Metalle benötigt werden. Wir brauchen Kupfer für die Stromnetze sowie Stahl und Aluminium für Wind- und Solarparks, aber auch für Elektrofahrzeuge, für die sieben bis zehnmal so viel Metall wie für Verbrenner benötigt wird. Ab Mitte der 2020er wird für Metalle ein erhebliches Nachfragedefizit erwartet.

  

  • Der Rohstoffsektor bietet einige interessante Anlageideen. Während die Welt mit einem Produktionsdefizit kämpft, wird sich die Nachfrage nach Rohstoffen erhöhen.
  • Aufgrund der Marktvolatilität im Bereich Aktien und EM-Unternehmensanleihen bieten sich Anlegern, die eine aktive Verwaltung wählen, die besten Chancen, die Marktturbulenzen zu ihren Gunsten zu nutzen. Das hat damit zu tun, dass sie nicht an die Performance von Indizes gebunden sind, sondern Vermögenswerte danach auswählen können, inwieweit sie die Portfolioqualität verbessern.

  

  

Aktien – eine Einschätzung von Ramiz Chelat

→ Passive Anlageprodukte haben in den vergangenen fünf Jahren ein enormes Wachstum erlebt. Während dieser Zeit hat die US-Notenbank viel Liquidität in die Märkte gepumpt, und die Zinsen waren niedrig oder lagen sogar bei null Prozent. Diese Bedingungen sorgten für Höhenflüge an den weltweiten Aktienmärkten, denn die Anleger wandten sich risikoreicheren Anlagen zu, um höhere Renditen zu erzielen. Derzeit verschieben sich allerdings die Marktbedingungen: Die Zinsen steigen, und die vom Momentum getriebenen Märkte verändern sich.

Im Hinblick auf Indizes wie den S&P 500 oder den Nasdaq Composite Index sollte man sich stets bewusst sein, dass ihre Zusammensetzung nach Marktkapitalisierung gewichtet ist, was nicht unbedingt die Qualität der im Index enthaltenen Unternehmen widerspiegelt. Einfach ausgedrückt: Nur, weil ein Unternehmen gross genug ist, um in den Index aufgenommen zu werden, heisst das nicht, dass es auch gut aufgestellt ist, um in unsicheren Zeiten Gewinn- und Margenwachstum zu schützen. Die Aufnahme in den Index richtet sich ausschliesslich nach der Grösse – nicht nach der Qualität.

«Indexorientiertes Anlegen könnte künftig riskanter werden», schätzt Ramiz Chelat, Portfoliomanager für Aktien bei Vontobel. «Anleger sollten sich auf hochwertige Unternehmen konzentrieren, die langfristig attraktive Wachstumsraten erzielen können.»

→ Die Anleger äussern uns gegenüber Bedenken aufgrund der Inflation. Falls Ihnen die Inflation ebenfalls Sorgen bereitet, sind die Preissetzungsmacht und die Markenstärke der Unternehmen, in die Sie anlegen, entscheidend, insbesondere in einem sich abkühlenden Konjunkturumfeld. Ein wichtiger Aspekt ist die «Premiumisierung», also der Trend, Verbraucher zu höheren Ausgaben für Marken oder Produkte zu bewegen, indem sie beispielsweise als exklusiver oder innovativer vermarktet werden. Unternehmen, die diese Strategie innerhalb ihrer Markenportfolios verfolgen, sind besser gegen die Inflation gewappnet. Die steigende Inflation führt zudem zu höheren Zinsen und somit zu höheren Kapitalkosten. Das bedeutet, dass Anleger sichergehen müssen, nicht zu viel für Unternehmen zu zahlen, deren Gewinnwachstum möglicherweise hinter den Erwartungen zurückbleibt.

→ Insgesamt zeichnet sich das aktuelle wirtschaftliche Umfeld durch ein weltweit schwächeres Wachstum aus, insbesondere in den USA und in Europa, denn dort steigen die Zinsen schneller und die Inflationsrisiken sind derzeit höher. In den Schwellenländern ist die Lage differenzierter. Hier verzeichnen einige Länder ein beschleunigtes Wachstum, darunter Indien, Indonesien und Brasilien.

→ Ein aktuelles Thema ist die Deglobalisierung. Falls sie einsetzen wird, wird sie sich über sehr lange Zeit hinziehen. Die einseitige Ausrichtung der Lieferketten auf China zu verringern und sie in benachbarte asiatische Länder oder nach Mexiko zu verlagern, wird ein schwieriges Unterfangen, doch einige Unternehmen gehen bereits erste Schritte in diese Richtung. Da auf diesen Märkten generell höhere Kosten anfallen, steigt die Lohninflation und es entsteht ein langfristiger Aufwärtsdruck auf die Inflation, den weitere Störungen der Lieferketten noch verstärken werden.

  

Wie stellen Anleger sicher, dass sie nicht zu viel für Unternehmen zahlen, die ihre Erwartungen zum Gewinnwachstum möglicherweise nicht erfüllen? Wenn Sie Bedenken aufgrund der Inflation haben, sind die Preissetzungsmacht und die Markenstärke der Unternehmen entscheidend, insbesondere in einem sich abkühlenden Konjunkturumfeld. Unternehmen, die innerhalb ihrer Markenportfolios auf Premiumisierung setzen, sind besser gegen die Inflation gewappnet.

  

  

mtx Equities – eine Einschätzung von Thomas Schaffner

→ Das aktuelle Marktumfeld ist volatil und eröffnet damit Chancen für aktive Anleger, die sich rasch an Veränderungen anpassen und diese für sich nutzen können.

In China ist die Pandemielage weiterhin schwierig – eine zentrale Sorge von Anlegern, da dies weiter reichende Auswirkungen auf die Wirtschaft hat. Die chinesische Zentralbank agiert recht proaktiv und hat bereits im vergangenen Jahr damit begonnen, ihre Geldpolitik zu straffen. Daher stehen ihr nun, da sich die Wirtschaft abkühlt, mehr Instrumente zur Verfügung, um die Wirtschaft zu stützen, als den Zentralbanken der westlichen Länder, darunter Zinssenkungen, Liquiditätsspritzen und eine Senkung des Mindestreservesatzes für Banken.

Die chinesische Politik ist bereits recht unterstützend, sowohl in regulatorischer als auch geldpolitischer Hinsicht. Ihr Einfluss ist jedoch beschränkt, da der Schatten der Pandemie weiterhin auf der Wirtschaft liegt.

«Eine Wiedereröffnung der Wirtschaft oder weitere politische Massnahmen zur Stützung des Wirtschaftswachstums dürften die Anleger dazu veranlassen, China wieder optimistischer zu betrachten», so Thomas Schaffner, Senior Portfolio Manager für mtx Equities bei Vontobel.

  

EM-Unternehmensanleihen – eine Einschätzung von Wouter van Overfelt

→ Volatile Phasen bieten attraktive Chancen für aktive Manager, da sie sich rasch an Veränderungen anpassen und die besten Gelegenheiten am Markt nutzen können.

→ Die heutige Welt unterscheidet sich grundlegend von dem letzten Jahrzehnt, das von sinkenden Zinsen und quantitativer Lockerung geprägt war. Im Rahmen dieser Massnahme kauften die Zentralbanken Vermögenswerte wie Staatsanleihen, um die Liquidität im Finanzsystem zu erhöhen. Unser heutiges Umfeld ist von Inflation geprägt, die Zentralbanken erhöhen die Zinsen. Dadurch entsteht eine neue Dynamik für Anleger, die ihre Portfolios umschichten müssen, um sie vor Wertverlusten zu schützen.

→ Für die Fixed-Income-Märkte gilt Inflation generell als negativ, da sie den Nennwert von Anleihen aufzehrt. Allerdings könnten Unternehmensanleihen aus Schwellenländern höhere Renditen abwerfen (im Vergleich zu vielen anderen Bereichen des Fixed-Income-Marktes) und somit einen gewissen Schutz vor einem inflationsbedingten Wertverlust bieten.

→ Innerhalb des Segments der EM-Unternehmensanleihen stellt China ein grosses Anlageuniversum dar. Auf dem chinesischen Markt ist die Volatilität tendenziell höher, wodurch sich wie erwähnt Chancen für aktive Anleger ergeben, da sie meist in der Lage sind, Verschiebungen im Anlageumfeld flexibel zu ihren Gunsten zu nutzen.

→ Falls die Zentralbanken die Zinsen noch stärker erhöhen müssen, wird dies das Wirtschaftswachstum bremsen, was sich wiederum negativ auf EM-Unternehmensanleihen auswirken und andere Schwellenmärkte für Anlagen attraktiver machen kann.

  

 

  

 

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