Es bleibt kein Stein auf dem anderen
Was erwartet unsere Welt in den kommenden Jahrzehnten? Worauf müssen Anleger achten, die nach langfristigen Anlageideen suchen? Darüber sprachen wir kürzlich mit Parag Khanna, dem Gründer von FutureMap – einer Unternehmensberatung, die im dynamischen Kontext der Globalisierung datengestützte Szenarioplanungen und strategische Beratung für Kunden anbietet. Hier können Sie nachlesen, wie sich die Anlagelandschaft in seinen Augen langfristig verändern wird.
Wie werden sich die Umwälzungen der letzten Jahre auf das künftige Anlegerverhalten auswirken?
«Beginnen wir mit Covid: Die Pandemie hat die Digitalisierung enorm beschleunigt. Schon zuvor gab es die Möglichkeit, digital und per Remote-Zugriff zu arbeiten, doch die Unternehmenskultur war ein grosses Hindernis. Heute arbeiten die meisten Beschäftigten bevorzugt remote. Darüber hinaus liegt der Fokus neuer Anlagen heute auf der zunehmenden digitalen Konnektivität und der Koordination durch Softwareplattformen, die die Produktivität der Beschäftigten in Remote-Arbeitsmodellen weiter verbessern werden.»
«Und dann ist da noch der Krieg gegen die Ukraine, der weltweit Lebensmittellieferungen und Lieferketten unterbrochen hat. Das wird zu neuen Anlagemustern führen, da die Entscheidungsträger in immer mehr Regionen verstärkt auf Unabhängigkeit bei der Energie- und Lebensmittelversorgung sowie die Herkunft und die Beschaffung zentraler Produktbestandteile achten, um Lieferkettenprobleme zu vermeiden. Zudem werden sie sich zunehmend des Problems bewusst, dass kritische Technologien womöglich durch feindliche Mächte kontrolliert werden.
«Die Kombination von Covid, geopolitischen Spannungen und dem Klimawandel führt zu einer Beschleunigung einer regionalen wirtschaftlichen Integration, aber auch der Digitalisierung. Für die Anleger sind dies also ausgesprochen attraktive Megatrends.»
Wie hat der Krieg gegen die Ukraine die geopolitische Risikolandschaft verändert?
«Eine der wichtigsten Lektionen des Kriegs gegen die Ukraine ist, dass geopolitische Risiken überall auftreten können. Treten wir einen Schritt zurück und betrachten das Ganze aus der humanitären Perspektive: Ich wüsste nicht, wann es schon einmal gleichzeitig ein halbes Dutzend Grosskonfliktzonen gab, seien es nun Bürgerkriege oder ethnische oder internationale Konflikte, die zusammen zur Vertreibung von über einer Million Menschen geführt hätten. Überall beobachten wir politische und geopolitische Katastrophen. Diese Konflikte durchdringen alles. Dabei hängen sie nicht zwingend regionsübergreifend zusammen. Viele Menschen sind überzeugt, dass wir wegen der russischen Invasion in der Ukraine aufpassen sollten, was China in Taiwan plant. Ich bin anderer Meinung. Die chinesische Strategie für Taiwan folgt eigenen Gesetzen.»
In China setzt langsam ein Prozess der Öffnung und Erholung ein. Welche Chancen sehen Sie da für die Anleger?
«Wir dürfen nicht vergessen, dass China hinsichtlich der Kaufkraft bereits die grösste Volkswirtschaft der Welt ist. Selbst bei geringem Wachstum trägt das Land in erheblichem Masse zur Weltkonjunktur bei. Die Volkswirtschaften wollen unabhängiger werden, doch es bleibt aus Effizienzgründen sinnvoll, in China zu produzieren, was man auf dem chinesischen Binnenmarkt verkaufen will. China investiert weiterhin massiv in Automatisierungs- und Fertigungsprozesse, um dem Schrumpfen seiner Erwerbsbevölkerung entgegenzuwirken, und tätigt zahlreiche neue Infrastrukturinvestitionen. Zudem investiert das Land in alternative Energien und wasserbauliche Massnahmen, um sich an den Klimawandel anzupassen und die heimische Lebensmittelversorgung zu verbessern.
In welche Regionen und Branchen würden Sie mit einem Zeithorizont von 30 bis 40 Jahren investieren?
«In den kommenden Jahrzehnten wird der Klimawandel weltweit schrittweise zu einem alles bestimmenden Thema werden und die Welt in bewohnbare und unbewohnbare Zonen unterteilen. Ich bin überzeugt, dass wir unsere regionale Anlageallokation aus den Erkenntnissen der Klimamodelle ableiten sollten. Ganz gleich, was geschieht: Einige Regionen werden relativ betrachtet besser abschneiden. Das gilt für Zentralasien, Nordasien, Teile Russlands, sicherlich für Teile Osteuropas und nordamerikanische Länder wie Kanada. Und auch für Japan.
«Wir müssen darüber nachdenken, wie wir angemessen in nachhaltige Infrastruktur und erneuerbare Energien investieren, wenn wir berücksichtigen, dass die Bevölkerung in diesen Regionen potenziell durch massive Einwanderung junger Menschen aus aller Welt wachsen wird. Umwelttechnologien sind aus meiner Sicht ein zentrales Thema. Atomkraft, Wasserentsalzung, hydroponische Landwirtschaft, bewegliche Infrastruktur und Wohngebäude – diese Bereiche. Und die kritischen, fundamentalen Aspekte der Sektoren Grundstoffe, Energie und Rohstoffe werden wichtiger sein denn je. Genau wie die Aufgabe, sie zu entwickeln und dort einzusetzen, wo die Menschen künftig leben werden. Wir gehen oft von einer statischen Weltkarte aus, ob es nun Ländergrenzen oder den Wohnort der Menschen betrifft. Aber Grenzen verändern sich permanent, und Menschen sind mobil. Wenn wir einen Zeithorizont von 30 bis 40 Jahren wirklich ernst nehmen, müssen wir uns eine ganz andere Weltkarte vorstellen als bisher.
«Nach meiner Einschätzung wird der Begriff ‹Emerging Markets› sehr viel stärker regional aufgegliedert werden. Südamerika entwickelt sich anders als Afrika, dessen Performance wiederum anders ausfällt als die arabischer Volkswirtschaften, während Asien wiederum auf einem ganz anderen Blatt steht. Ob mit oder ohne Japan. Ich denke, dass Regionen und regionale Definitionen von Schwellenländern – Kategorien von Anlageregionen wie Europa, Asien und Nordamerika – letztlich wichtiger sein werden als die übergeordnete Kategorie ‹Schwellenland›. Sie werden nicht zwingend miteinander korrelieren, sondern vielmehr von ihrem Entwicklungsgrad, ihren Umweltbedingungen, ihrer politischen Stabilität und ihren geopolitischen Risiken abhängen.»
«Nach meiner Einschätzung werden wir ein paar sehr starke Märkte sehen, die ich eher als aufsteigende Märkte bezeichnen würde und nicht als Schwellenländer», betont Parag Khanna, Gründer von FutureMap. «Viele von ihnen werden ihren Aufstieg im kommenden Jahrzehnt erleben. Ich betrachte die Welt als Ganzes in Bezug auf aufsteigende und absteigende Märkte.»
Parag Khanna - Gründer von FutureMap