Vernissage «A New Gaze 2»: Über Lebensträume in Blau, Weiss, Rot
Fotograf Kelvin Haizel eröffnet seine Ausstellung «Babysitting a Shark in a Coldroom»
«A New Gaze 2», der zweite Vontobel Förderpreis für junge zeitgenössische Fotografie, geht dieses Jahr nach Afrika. Der Gewinner heisst Kelvin Haizel. Seine Ausstellung entführt uns an einen Ort weit weg im Indischen Ozean, wo Tropenidylle und Migrationspolitik aufeinandertreffen.
Für «A New Gaze 2» stellte die Vontobel-Kunstkommission das Thema Identität ins Zentrum und legte den Fokus dabei auf das fotografische Schaffen in Afrika. 80 Fotografinnen und Fotografen aus verschiedenen Teilen des Kontinents waren eingeladen, einen Projektvorschlag einzureichen. Das Gewinnerprojekt von Kelvin Haizel (*1987) überzeugte die Jury, weil er Identität als Konzept untersucht, das sich durch Begegnungen mit Menschen ständig verändert. Haizel machte dafür zwei längere Reisen auf den Archipel der Komoren.
Identität im Spiegel des Unerreichbaren
Haizels Neugierde galt der kulturellen Identität der Komoren. Vier Hauptinseln formen den Archipel der Komoren, und gemeinsam standen sie bis 1975 unter französischer Kolonialherrschaft. Dann sagten sich drei von ihnen von Frankreich los und gründeten die unabhängige Union der Komoren. Daneben, kaum 70km weiter südöstlich, blieb die Insel Mayotte fest mit Frankreich verbunden und erlebte später als Teil der Europäischen Union einen Aufschwung, von dem die Nachbarinseln nur träumen können.
Entlang einer Grenze, die früher keine war, entstand ein Gefälle von Fortschritt und Stillstand, Aufschwung und Armut. Es gipfelte 1994 in einer Visumspflicht für alle Komorer, die Französisch-Mayotte besuchen möchten. So wurden Brüder und Schwestern zu Feinden, Nachbarn zu Fremden im eigenen Kulturkreis. Seither treibt die Hoffnung auf ein neues, besseres Leben zehntausende von Komorern auf Flüchtlingsboote, mit denen sie eine waghalsige, oft tödliche Überfahrt versuchen. Was sie in Mayotte erwartet, ist im besten Fall ein jahrelanges Asylverfahren mit ungewissem Ausgang. Oder aber die sofortige Rückschaffung.
Babysitting a Shark in a Coldroom: Ein Mahnmal für Migrationskonflikte überall auf der Welt
Auch Haizel, der Ghanaer, kam bei seiner ersten Reise auf die Komoren nicht bis Mayotte, sondern musste ein zweites Mal mit Visum wiederkommen. Eine Erfahrung, die sein Schaffen prägte. Entstanden sind drei Werkgruppen, die je ein Encounter thematisieren. Sie verbindet eine vielstimmige Symbolik, mit der Haizel spannungsvoll zusammenbringt, was kulturell zusammengehört. Und in Wirklichkeit immer weiter auseinanderdriftet.
«Babysitting a Shark in a Coldroom» macht das deutlich. Der vermenschlicht niedliche Babyhai, den Haizel selbst in den Schlaf wiegt, ist seiner Herkunft bis zur Unkenntlichkeit entrückt. Er, der stolze Fang eines komorischen Fischers, findet sich auf einmal verwickelt in ein rot gemustertes Tuch, das zwar die Kleidungstradition der Komoren zitiert, aber gleichzeitig im Dreiklang der französischen Nationalfarben aufgeht. Das alles vor einem Green-Screen-Hintergrund, der es dem Betrachter leicht macht, den Kontext zu vergessen. Und das Werk als Mahnmal hochzuhalten für Migrationskonflikte überall auf der Welt.
«Babysitting a Shark in a Coldroom»: Das Selbstporträt des Künstlers mit Hai ist das Titelwerk der «A New Gaze»-Ausstellung 2019. ©Foto: Kelvin Haizel
Ähnlich vielschichtig verwebt Haizel in «Every Other Is a Citizen» sein persönliches Visa-Erlebnis mit Porträts von Frauen und Männern, die die Reise nach Mayotte riskiert haben: «I photographed people who are in Mayotte as asylum seekers, Comorians who have been denied visa to Mayotte, or those who haven’t even dared to try.» Ihre Porträts überlagert er mit einer Aufnahme seines eigenen Visa-Dokuments. Die Montagen präsentiert er in einem Setting, das uns augenblicklich in die Warteschlange vor der Passkontrolle eines Flughafens versetzt: Gesichter hinter Plexiglas warten fein säuberlich aufgereiht auf den Einreiseentscheid.
«Zusammenstösse von Bild und materieller Realität»
Der Co-Kurator Urs Stahel schreibt im Katalog zur Ausstellung: «In der gesamten Arbeit erleben wir einen Künstler, der die verschiedenen Encounters mit der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation auf den Komoren virtuos mit einem vielschichtigen Bilddiskurs unterlegt. Er realisiert die Bilder als streunende Migranten unserer Erfahrungswelt – eine Begegnung, ein Zusammenstossen von «Bild» und materieller «Realität», ein Ineinanderlaufen, ein Encounter zweier sich gegenseitig beeinflussender Universen».
Vernissage in Anwesenheit des Künstlers
Die Ausstellung «Babysitting a Shark in a Coldroom – Comoros Encounters» feiert ihre Vernissage am 8. März 2019 am Vontobel Hauptsitz an der Gotthardstrasse 43 in Zürich. Dort werden die Werke von Kelvin Haizel bis am 5. April 2019 gezeigt. Alle Informationen zur Ausstellung und zum Führungsprogramm finden Sie unter anewgaze.vontobel.com.
Über Kelvin Haizel
Kelvin Haizel (*1987) lebt und arbeitet in Accra, Ghana. In seinen Arbeiten hinterfragt er den Zustand des Bildes in der heutigen Gesellschaft. Er nutzt dafür Video und Fotografie, Installationen und Objekte. Mit seinen Arbeiten waren er bereits an internationalen Ausstellungen von Nigeria über Mosambik bis Frankreich und Portugal zu Gast.
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