Syrien, Nordkorea, Russland – sind die geopolitischen Bedrohungen wirklich grösser als in der Vergangenheit?

Insights, Insights, Geopolitik
24.04.2018 von Lars Kalbreier Lesezeit: 3 Minute(n)

Geopolitische Risiken gaben seit den Spannungen zwischen den USA und Nordkorea im vergangenen Jahr zunehmend Anlass zur Sorge. Während die Spannungen mit Kim Jong-un zurückgegangen sind, gibt es jetzt Probleme mit Russland und Syrien, was die Luftschläge der letzten Woche und die heftige Reaktion von Wladimir Putin auf diese beweisen.

Doch ist die Welt in letzter Zeit wirklich gefährlicher geworden – ein Eindruck, den die Medien zu vermitteln scheinen? Lebte die Nachkriegsgeneration tatsächlich in einer sichereren Welt, wie anscheinend viele Menschen glauben?

Die Antwort ist eindeutig NEIN!
 

Ein Blick in die Vergangenheit

1945 wurden erstmals in der Geschichte Atomwaffen eingesetzt, als die USA Bomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen. Dies hatte die sofortige Kapitulation Japans zur Folge und rettete viele Leben, denn andernfalls hätte der Krieg möglicherweise viel länger gedauert.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam der Kalte Krieg mit einem gewaltigen Rüstungswettlauf zwischen den USA und der Sowjetunion. Am Ende der 1960er Jahre besassen beide Nationen genug Atomwaffen, um die gesamte Weltbevölkerung auszuradieren.

Noch beunruhigender war jedoch die Tatsache, dass die US-amerikanischen und die sowjetischen Führer nicht miteinander sprachen und stattdessen Rätselraten über die Absichten des jeweils anderen veranstalteten. Diese mangelnde Kommunikation wurde durch die Tatsache verschlimmert, dass die Satellitentechnologie immer noch in den Kinderschuhen steckte und man nicht sehen konnte, was in einem anderen Land geschah (d.h. militärische Vorbereitungen).

Somit bestand ständig das Risiko katastrophaler Missverständnisse. Tatsächlich lebte die Nachkriegsgeneration ständig mit einem schrecklichen Damoklesschwert über dem Kopf, das jeden Moment herabfallen konnte.

Wie gross dieses Risiko war, verdeutlicht der Petrow-Vorfall, der erst nach dem Ende des Kalten Kriegs veröffentlicht wurde. Anfang der 80er Jahre verfolgte die Sowjetunion die Doktrin der «Garantie gegenseitiger Vernichtung». Dies bedeutete, dass jeder US-Nuklearschlag gegen die Sowjetunion auf jeden Fall mit einem Nuklearschlag gegen die USA beantwortet werden würde ‒ was zur effektiven Vernichtung beider Länder geführt hätte. Am 23. September 1983 entdeckte das russische Radar US-Interkontinentalraketen, die in Richtung UdSSR flogen. Der diensthabende Offizier ‒ Stanislaw Petrow ‒ wusste, dass diese Information den Dritten Weltkrieg auslösen würde, und entschied, diese nicht an seine Vorgesetzten weiterzugeben. Mittlerweile steht fest, dass das Signal auf einem Computerfehler beruhte ‒ dennoch war Petrows Militärkarriere beendet. Es ist durchaus vorstellbar, dass – wenn damals eine andere Person im Dienst gewesen wäre – sowohl die USA als auch die Sowjetunion (und wahrscheinlich Westeuropa als Mitglied der NATO) zum Grossteil ausgelöscht worden wären.
 

Einschätzung der aktuellen Lage

Auch wenn die heutige geopolitische Lage durchaus Anlass zur Sorge gibt, ähnelt sie in keiner Weise der des Kalten Krieges. Das Risiko eines katastrophalen Fehlers ist heute erheblich geringer. Dies ist auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen.
 

  • Erstens können die Regierungen heute dank moderner Satellitensysteme «über den Zaun blicken», was mehr Transparenz in Bezug auf die Massnahmen ihrer Gegner bedeutet.
  • Zweitens sprechen die Regierungen nach wie vor miteinander. Das konnte man während der US-Luftschläge auf Syrien letzte Woche gut beobachten. Sowohl Putin als auch Assad wurden detailliert über die Ziele der Luftangriffe und deren genauen Zeitpunkt informiert. Wie sonst könnte man erklären, warum russische Truppen aus dem Umfeld der Ziele entfernt und ihre Raketenabwehrsysteme deaktiviert wurden? Und warum wäre Präsident Assad ein paar Stunden nach den Angriffen ganz ruhig in sein Büro im Präsidentenpalast zurückgekehrt, wenn er nicht absolut sicher gewesen wäre, dass die Luftschläge vorbei waren und sein Palast nicht ins Visier genommen werden würde?


Während wir dank moderner Technik wie z.B. Smartphones ständig mit Nachrichten versorgt werden (und leider verkaufen sich schlechte Nachrichten besser als gute...), sollten wir nicht vergessen, dass die Welt heute deutlich sicherer ist als während des Kalten Krieges.

Es ist paradox, dass die Nachkriegsgeneration weniger beunruhigende geopolitische Nachrichten erfuhr, ihr tatsächliches geopolitisches Risiko jedoch deutlich höher war als heute!

Die CIO Weekly Thoughts fokussieren und reflektieren Themen, die Lars Kalbreier während der Woche beschäftigt haben. Es ist vielmehr eine freie Meinungsäusserung, um gesunde Debatten unter den Lesern auszulösen, und keinesfalls eine Strategieempfehlung.

  

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